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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5
Autoren: Kristen Simmons
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Lücke klaffte. »Ich habe den Soldaten dahinten schon gefragt. Den mit dem Veilchen.«
    Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie dieses Mädchen jemandem die Faust ins Gesicht rammte. Ich dachte an Morris und die Kratzer an seinem Hals, und es kam mir surreal vor, dass ich dafür verantwortlich war. Einen Soldaten anzugreifen – das war Wahnsinn .
    »Wird meine Mutter auch dort sein?«
    Das Mädchen schaute mich an, als wäre ich der letzte Idiot.
    »Von dem Traum kannst du dich verabschieden, Chica «, sagte sie. »Artikel 5 bedeutet, dass sie nicht einmal mehr deine Mutter ist . Du bist jetzt Regierungseigentum.«
    Ich kniff die Augen zu, wollte ihre Worte einfach ignorieren, doch sie hallten in meinem Kopf nach.
    Sie irrt sich, sagte ich mir. Und wir haben uns auch geirrt. Ich zwang mich zu der Vorstellung, Katelyn Meadows würde gerade die Auffahrt zu ihrem zweistöckigen Zuhause hinaufgehen, irgendwo in … Indiana. Oder Tennessee. Sie war nur umgezogen, weil ihr Dad versetzt worden war. Es war schnell gegangen. Arbeit war dieser Tage Mangelware. Darum hatten ihre Freunde nichts davon erfahren. Wahrscheinlich schrieb sie jetzt in einer neuen Schule Bestnoten in Geschichte. Glaub es, dachte ich regelrecht verzweifelt; es könnte so passiert sein. Aber meine Phantasie war zu farbenfroh, um in die Realität zu passen. Es war eine Lüge, und ich wusste es.
    Meine Gedanken wanderten zu Chase, und sogleich empfand ich ein so grausames Brennen, dass ich beinahe aufgekeucht hätte. Wie konnte er nur? Ich legte die Wange an das kalte Fenster, während die Landschaft draußen so schwarz wurde wie die Nacht.
    »Wahrheit oder Pflicht?«
    Ich lächelte angesichts der Frage. Als Kinder hatten wir dieses Spiel tausendmal gespielt. Die Pflicht hatte uns stets in Schwierigkeiten gebracht.
    »Wahrheit«, sagte ich und sog die Welt in mich auf, in die er mich gebracht hatte. Die Wälder in ihren flammenden Farben, Bäume, die sich in alle Abstufungen von Rot und Gelb kleideten. Die Sonne, die mir warm ins Gesicht schien, und das Zwitschern der Vögel. Das alles war so anders als der Asphalt und der Lärm in der Stadt. Der perfekte Ort für Geheimnisse.
    »Hast du je jemanden besonders gemocht, den du so nicht hättest mögen dürfen?«
    »Beispielsweise jemanden, der eine Freundin hat?«, fragte ich und huschte um einen Baum herum, der uns den Weg versperrte.
    »Ja. Oder einen Freund.«
    Seine Frage traf mich unvorbereitet, und ich stolperte.
    »Ja«, sagte ich, bemüht, nicht zu viel in sein Lächeln hineinzulesen. »Wahrheit oder Pflicht?«
    »Wahrheit.« Er griff nach meiner Hand, und ich gab mir Mühe, nicht steif und unbeholfen zu wirken, aber ich war es doch, denn dies war Chase; wir waren zusammen groß geworden, na und? Ich würde ihn vielleicht mein ganzes Leben lang lieben, aber er würde nie in dieser Weise an mich denken, weil … na ja … weil wir Freunde waren.
    Oh.
    »Magst du …  PB&J ?« Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade. »Hast du nämlich früher, und darum habe ich welche zum Essen eingepackt«, beendete ich den Satz lahm.
    »Ja. Wahrheit?« Sein Daumen glitt über die Innenseite meines Handgelenks, und mein ganzer Körper reagierte wie unter Schock. Ich war erschrocken darüber, wie sehr es mir gefiel, wie sehr ich mich nach mehr sehnte.
    »Klar.«
    »Fändest du es komisch, wenn ich dich küssen würde?«
    Wir waren stehen geblieben, doch das war mir gar nicht aufgefallen, bis er nun sein Gewicht verlagerte und ich das Laub laut unter seinen Füßen knirschen hörte. Er lachte und räusperte sich. Ich konnte ihn nicht ansehen. Mir war, als wäre ich aus Glas, als könnte er einfach in mich hineinschauen und die Wahrheit sehen: dass ich mir schon mein halbes Leben lang wünschte, ihn zu küssen. Dass ich nie einen Jungen getroffen hatte, der gegen ihn hätte bestehen können.
    Er beugte sich zu mir herab, so nahe, dass ich fühlte, wie sich die Luft zwischen uns erwärmte.
    »Soll ich?«, flüsterte er mir ins Ohr.
    Ich nickte, und mein Puls raste.
    Ganz sanft hob er mein Gesicht an. Als seine Lippen sich auf meine legten, bewegte sich in meinem Inneren alles viel langsamer und schmolz einfach dahin. Die Anspannung in meiner Kehle löste sich, das nervöse Prickeln in meiner Brust ließ nach. Alles verblasste, alles außer ihm.
    Etwas veränderte sich zwischen uns, ein Funke aus Licht, aus Hitze. Seine Lippen öffneten meine, neckten mich erst, ehe sie mich kosteten. Eine seiner
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