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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich
Autoren: Jared Diamond
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geographischer Herkunft geforscht, die im gleichen Land zusammenleben. So sind insbesondere in den USA zahlreiche weiße Psychologen seit Jahrzehn­ten um den Nachweis bemüht, daß schwarze Amerika­ner afrikanischer Abstammung von Natur aus weniger Intelligenz besitzen als weiße Amerikaner mit europä­ischen Vorfahren. Wie man sehr wohl weiß, gibt es zwi­schen beiden Gruppen aber erhebliche Unterschiede in bezug auf die soziale Umwelt und die Bildungschancen. Daraus resultieren gleich zwei Probleme für die Prüfung der Hypothese, daß Unterschiede der geistigen Fähigkei­ten die Ursache für Unterschiede im technischen Ent­wicklungsstand seien. Erstens sind kognitive Fähigkei­ten selbst bei Erwachsenen in hohem Maße durch die soziale Umwelt in der Kindheit geprägt, wodurch es be­sonders schwer ist, die Wirkung genetischer Unterschie­de festzustellen. Zweitens neigen Tests kognitiver Fähig­keiten (beispielsweise Intelligenztests) dazu, kulturelles Lernen statt der reinen, angeborenen Intelligenz (was immer das sein mag) zu testen. Aufgrund der unstrit­tigen Auswirkungen von Kindheitserfahrungen und er­lerntem Wissen auf die Ergebnisse von Intelligenztests ist es Psychologen bis heute nicht gelungen, die postu­lierten genetischen Defizite im IQ nichtweißer Völker über zeugend nachzuweisen.
    Mein eigener Standpunkt in dieser Kontroverse hat viel mit den Erfahrungen zu tun, die ich im Laufe von 33 Jahren mit Neuguineern in ihrem eigenen intakten Lebensumfeld sammeln konnte. Von Anfang an beein­druckten mich diese Menschen als im Durchschnitt in­telligenter, aufgeweckter, ausdrucksvoller und stärker an Dingen und Personen ihrer Umwelt interessiert als durchschnittliche Europäer oder Amerikaner. Bei man­chen Aufgaben, bei denen ein enger Zusammenhang mit bestimmten Gehirnfunktionen vermutet werden muß, etwa bei der Fähigkeit, eine fremde Umgebung im Geist zu kartieren, wirken sie erheblich intelligenter als Men­schen aus dem Westen. Natürlich schneiden Neuguineer in der Regel bei Aufgaben schlecht ab, die bei uns von Kindheit an geübt werden, in Neuguinea jedoch nicht. Wenn Neuguineer aus entlegenen Dörfern zu Besuch in die Stadt kommen, mögen sie deshalb in westlichen Au­gen töricht aussehen. Umgekehrt bin ich mir stets be­wußt, welch schlechte Figur ich für Neuguineer abgeben muß, wenn ich mit ihnen in den Dschungel gehe und dort meine Unfähigkeit unter Beweis stelle bei so ein­fachen Aufgaben wie dem Wandern auf einem Dschun­gelpfad oder der Errichtung einer kleinen Schutzhütte, die für Neuguineer die einfachsten Dinge von der Welt sind, weil sie damit von Kindheit an vertraut sind.
    Zwei leicht nachvollziehbare Gründe sprechen für die Richtigkeit meines Eindrucks, daß Neuguineer womög­lich intelligenter sind als Menschen aus dem Westen. Er­stens gibt es in Europa seit Jahrtausenden Gesellschaf­ten mit zentraler Regierungsgewalt, Polizei und Justiz. Seither waren Krankheitsepidemien (z. B. Pocken) an­gesichts der Bevölkerungsdichte historisch die häufig­ste Todesursache, während Mord verhältnismäßig selten vorkam und Krieg eher die Ausnahme war als die Regel. Die meisten Europäer, die keiner ansteckenden Krank­heit zum Opfer fielen, entgingen auch anderen möglichen Todesursachen, bevor sie ihr Erbgut an ihre Nachkom­men weitergeben konnten. Heute sterben Neugeborene im Westen kaum noch an lebensbedrohlichen Infekti­onskrankheiten und pflanzen sich ungeachtet ihrer In­telligenz und der Qualität ihrer Erbanlagen fort. Im Ge­gensatz dazu leben Neuguineer in Gesellschaften, deren Bevölkerungsdichte zu gering war, als daß sich Krank­heitsepidemien hätten ausbreiten können. Dafür kamen in Neuguinea früher viele Menschen durch Mord, häu­fige Stammeskriege, Unfälle und Hunger ums Leben.
    Intelligente Menschen entgehen diesen Todesursa­chen in traditionellen neuguineischen Gesellschaften eher als weniger intelligente. Dagegen hatte die differen­tielle Sterblichkeit aufgrund von Krankheitsepidemien in traditionellen europäischen Gesellschaften kaum et­was mit Intelligenz zu tun. Vielmehr spielten dabei er­blich bedingte, von biochemischen Körpereigenschaften gesteuerte Abwehrkräfte eine Rolle (ein typisches Bei­spiel ist die größere Pockenabwehrkraft von Menschen mit Blutgruppe B oder Null als von Menschen mit Blut­gruppe A). Daraus ergibt sich, daß die natürliche Selek­tion nach Intelligenz auf Neuguinea wahrscheinlich sehr viel
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