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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Ein Mann von Ehre
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Soldatenfrau, sie würde bestimmt nicht klagen. Sie klagte nie. Wenn der liebe Gott selbst, und nicht der Papst in Rom, Menschen heiligspräche, gäbe es vielleicht einmal neben Maria und Elisabeth die heilige Susan aus Appleshaw.
    Pa, wie Adam ihn immer nannte, hatte sein Leben lang höchste Maßstäbe gesetzt, sich selbst und der ganzen Familie. Vielleicht bewunderte Adam ihn deshalb noch immer so uneingeschränkt. Manchmal fühlte er sich beim Gedanken an das Vorbild des Vaters seltsam fehl am Platz in diesen leichtlebigen sechziger Jahren.
    In der Erwartung, daß sich die Prozedur ihrem Ende näherte, begann Adam unruhig auf seinem Stuhl zu rutschen: Je früher sie alle diese kalte, schäbige kleine Kanzlei verließen, desto besser.
    Mr. Holbrooke blickte noch einmal kurz auf und räusperte sich plötzlich so feierlich, als bliebe zu verlautbaren, wer den Goya oder die Habsburg-Diamanten geerbt hatte. Er schob die Halbbrille den Nasenrücken hoch und schaute noch einmal auf die letzten Absätze des Testaments seines verstorbenen Klienten. Die drei überlebenden Mitglieder der Familie Scott saßen schweigend da. Was kann er wohl noch zu sagen haben? fragte sich Adam.
    Was auch immer es sein mochte – der Advokat hatte dieses letzte Legat offensichtlich eingehend studiert, denn er rezitierte wie ein Schauspieler, der seine Rolle kannte, und mußte den Text nur ein einziges Mal zu Rate ziehen.
    »Außerdem hinterlasse ich meinem Sohn«, Mr. Holbrooke legte eine Pause ein, »beiliegenden Briefumschlag.« Holbrooke hielt ihn hoch. »Ich hoffe nur, daß er ihm mehr Glück bringen wird als mir. Sollte er sich entschließen, den Umschlag zu öffnen, dann nur unter der Bedingung, daß er niemals irgendeinen anderen Menschen etwas über seinen Inhalt wissen läßt.«
    Adam fing den Blick seiner Schwester auf. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Offenbar war sie so verblüfft wie er. Adam schaute zu seiner Mutter hinüber; sie schien erschrocken. War es Angst oder Sorge, die sich in ihrem Gesicht spiegelte? Adam konnte sich nicht darüber klarwerden. Wortlos überreichte Mr. Holbrooke dem einzigen Sohn des Colonels den vergilbten Briefumschlag.
    Alle blieben sitzen; niemand wußte so recht, was tun. Endlich schloß Mr. Holbrooke die dünne Mappe mit der Aufschrift »Colonel Gerald Scott, DSO, OBE, MC«, schob seinen Stuhl zurück und trat langsam auf die Witwe zu. Er schüttelte ihr die Hand, und sie sagte: »Vielen Dank« – eine, wie Adam fand, eher lächerliche Artigkeit, denn wirklich verdient hatte an der ganzen Transaktion eigentlich nur Mr. Holbrooke im Namen der Anwaltskanzlei Holbrooke, Holbrooke & Gascoigne. Adam stand auf und stellte sich neben seine Mutter.
    »Kommen Sie mit zu uns zum Tee, Mr. Holbrooke?« fragte sie.
    »Das wird mir leider nicht möglich sein, verehrte gnädige Frau …« hob der Anwalt an. Adam hörte einfach nicht weiter zu: Das Honorar war Holbrooke wohl nicht hoch genug, um auch noch die Zeit zu opfern, die mit einer Einladung zum Tee verbunden gewesen wäre.
    Sie verließen die Kanzlei. Sobald Adam Mutter und Schwester bequem im Fond des kleinen Morris Minor sitzen sah, klemmte er sich hinter das Lenkrad. Er hatte unmittelbar vor Mr. Holbrookes Kanzlei geparkt, mitten auf der Hauptstraße; in den Straßen von Appleshaw gab es keine gelben Randstreifen mit Halteverbot – noch nicht, dachte Adam. Er hatte kaum die Zündung angelassen, als seine Mutter nüchtern feststellte: »Von dem Wagen werden wir uns auch trennen müssen, weißt du. Bei den heutigen Benzinpreisen kann ich mir Autofahren nicht mehr leisten.«
    »Darüber sollten wir uns ein andermal Gedanken machen«, meinte Margaret tröstend, aber ihr Tonfall gab zu erkennen, daß sie ihrer Mutter recht gab. Sie wandte sich, um rasch das Thema zu wechseln, an Adam: »Ich frage mich bloß, was in dem Briefumschlag ist.«
    »Zweifellos detaillierte Instruktionen, wie ich meine fünfhundert Pfund anlegen soll«, sagte ihr Bruder scherzend, um die Stimmung zu heben.
    »Sei nicht so respektlos gegenüber dem Toten«, tadelte seine Mutter mit dem gleichen ängstlichen Gesichtsausdruck wie zuletzt in der Anwaltskanzlei. »Ich habe euren Vater angefleht, diesen Umschlag zu vernichten«, fuhr sie plötzlich fast flüsternd fort.
    Adam spitzte die Lippen, als ihm aufging, daß es sich offenbar um den Briefumschlag handelte – das Kuvert, auf das sein Vater damals, vor vielen Jahren, angespielt hatte, als Adam Zeuge der einzigen
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