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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey
Autoren: Kain und Abel
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können nichts unternehmen, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen; wir sind den drei mächtigen Reichen, die uns umgeben, auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert.«
    »Wir sind stark, wir können kämpfen«, sagte Leon. »Wir haben hölzerne Schwerter und Schilde und wir haben keine Angst vor den Deutschen oder den Russen.«
    »Mein Sohn, ihr habt nur Krieg gespielt; aber die bevorstehende Schlacht wird nicht zwischen Kindern ausgetragen. Wir müssen so rasch wie möglich fort von hier und an einem ruhigen Platz warten, bis die Geschichte unser Schicksal entschieden hat. Ich kann nur beten, daß das nicht das Ende eurer Kindheit bedeutet.«
    Die Kinder wurden aus den Worten des Barons nicht klug. Krieg war doch ein aufregendes Abenteuer, das sie bestimmt versäumen würden, wenn sie das Schloß verließen. Die Bediensteten verbrachten einige Tage damit, die Sachen des Barons zu packen, und man teilte Wladek und Leon mit, daß sie am folgenden Montag zu dem kleinen Sommerhaus nördlich von Grodno aufbrechen würden. Die beiden Jungen arbeiteten und spielten wie früher, weitgehend unbeaufsichtigt, aber sie konnten im ganzen Schloß niemanden finden, der Zeit oder Lust hatte, ihre tausend Fragen zu beantworten.
    Samstags war nur am Vormittag Unterricht. Sie übersetzten eben Adam Mickiewiczs Pan Tadeusz ins Lateinische, als sie Schüsse hörten. Anfangs dachte Wladek, daß sich einer der Wildhüter auf der Jagd befände, und sie wandten sich wieder ihrer Übersetzung zu. Eine zweite Gewehrsalve in viel größerer Nähe ließ die Jungen aufmerken. Dann hörten sie unten Schreie. Verwirrt schauten sie einander an; sie empfanden keine Furcht, da sie in ihrem kurzen Dasein nichts erlebt hatten, das sie ängstlich gemacht hätte. Der Lehrer floh und ließ sie allein. Ein weiterer Schuß fiel, diesmal im Korridor vor ihrem Zimmer. Die beiden Jungen saßen bewegungslos da, und jetzt schnürte ihnen Angst die Kehlen zu.
    Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein Mann, kaum älter als ihr Lehrer, in grauer Soldatenuniform und Stahlhelm stand vor ihnen. Leon klammerte sich an Wladek, der den Eindringling anstarrte. Der Soldat schrie sie auf deutsch an und wollte wissen, wer sie seien; obwohl beide Knaben ebenso fließend deutsch wie polnisch sprachen, sagte keiner von ihnen ein Wort. Ein anderer Soldat erschien, während der erste auf die Jungen zuging, sie wie zwei Hühner am Hals packte, und sie in den Gang, durch die Halle und in den Garten zerrte. Dort fanden sie eine hysterisch schreiende Florentyna vor, die vor sich ins Gras starrte. Leon konnte den Anblick nicht ertragen und vergrub seinen Kopf an Wladeks Schulter. Fassungslos und entsetzt schaute Wladek auf die Reihe toter Körper, die, das Gesicht nach unten, im Gras lagen. Der Anblick eines Schnurrbartes im Profil, der sich von einer Blutlache abhob, hypnotisierte ihn. Es war der Wildhüter. Wladek fühlte nichts. Florentyna schrie weiter.
    »Ist Vater dabei?« fragte Leon. »Ist Vater dabei?«
    Wladek schaute nochmals auf die Reihe der Toten und dankte Gott, daß Baron Rosnovski nicht darunter war. Eben wollte er es Leon sagen, als ein Soldat auf sie zukam.
    »Wer hat gesprochen?« fragte er wütend.
»Ich«, sagte Wladek trotzig.
Der Soldat hob sein Gewehr hoch und ließ den Kolben auf Wladeks
    Kopf krachen. Wladek fiel mit blutüberströmtem Gesicht zu Boden. Wo war der Baron? Was geschah? Warum wurden sie in ihrem eigenen Haus so mißhandelt? Leon warf sich rasch über Wladek, um ihn vor dem zweiten Schlag zu schützen, der Wladeks Magen gegolten hätte. Als der Gewehrkolben mit voller Kraft niedersauste, traf er Leons Hinterkopf.
    Beide Jungen lagen bewegungslos, Wladek, weil ihn der Schlag und das plötzliche Gewicht von Leons Körper betäubt hatte, und Leon, weil er tot war.
    Wladek hörte, wie ein anderer Soldat ihren Peiniger zurechtwies. Man hob Leon auf, aber Wladek klammerte sich an ihn, und zwei Soldaten waren nötig, um ihn von seinem Freund loszureißen. Dann wurde die Leiche achtlos, das Gesicht nach unten, zu den anderen geworfen. Keinen Augenblick lang wandte Wladek den Blick von dem bewegungslosen Körper seines besten Freundes; schließlich trieb man ihn mit einer Handvoll anderer Überlebender zurück ins Schloß und in den Kerker. Niemand sprach ein Wort, bis die Kerkertür verriegelt und das Gemurmel der Soldaten in der Ferne verklungen war. Jeder hatte Angst, die Reihe der Leichen draußen im Gras zu verlängern. Dann sagte Wladek:
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