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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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Daniel gefunden hat, was er suchte – er folgt dem Prinzip von Benno und erweitert es noch, spreizt die Bögen nach unten und oben mit einzelnen Tönen, die er im Bass wie Gewichte und im Diskant wie Glanzlichter oder i-Tüpfelchen in Bennos Part einfügt, sodass sie wie Betonungen wirken. Als Daniel aufhört und fragend in die Runde blickt, nicken alle nur schweigend, und dann kommt Carlos Stimme durchs Talkback-Mikrofon: »Ich würde sagen, das nehmen wir jetzt mal auf.«
    Ob es wie Fliegen ist oder wie eine sanfte Landung, eher ein Gleiten oder Schwimmen oder Sinken – Benno weiß nicht, wie ihm geschieht, aber er weiß mit aller Klarheit und einem innerlichen Staunen, dass ihm geschieht, was er nicht mehr in seinem Leben erhofft hatte: Er spielt mit Daniel, und alles ist richtig. Nichts ist mehr ambivalent oder in Gefahr, verloren zu gehen, zu zerbrechen, seinen Sinn einzubüßen. Dieser Moment, dieser lange Moment – drei Takes, bis das Stück aufgenommen ist und bereit für Meikes Gesang, das Solo, den Bass und die Fingercymbals –, dieser Moment fühlt sich definitiv an wie der besagte erste Schluck nach langem Durst. Vielleicht sogar wie ein Schluck, nach dem kein weiterer Durst mehr kommen kann, weil er alles gelöscht hat, was brannte.
    —
    Mit der Ausrede, er brauche neue Saiten, hat sich Benno in den Wagen gesetzt und ist nach Wangen gefahren, während die Band sich in den nächsten Groundtake stürzte. Er muss ein bisschen allein sein. Der Musik nachlauschen, die er eben mit Daniel gespielt hat, als wäre nichts verloren gegangen in den letzten vierzehn Jahren. Er weiß, dass das nicht stimmt, er weiß, dass er ein anderer ist, Daniel erst recht, alles ist anders, aber das eine ist geblieben: Sie klingen noch immer zusammen, als hätten sei ein gemeinsames Gehirn.
    Jetzt sitzt er mit Blick auf ein bunt bemaltes Haus vor dem Eiscafé, trinkt Cappuccino und beherrscht sich, um nicht die nächste Telefonzelle aufzusuchen, Christine anzurufen und ihr zu sagen, dass Daniel und Meike ein Paar sind. Sosehr er sich wünscht, jetzt sofort die Verhältnisse zu klären – es geht nicht. Daniel muss das sagen. Nur Daniel. Wenn sich Benno dazwischendrängt, dann ist das niederträchtig, eine Denunziation, er muss die Reihenfolge wahren: Daniel gesteht, und Christine schließt Benno in die Arme. Er wird Daniel gleich nachher zur Seite nehmen und ihn überreden, sich zu offenbaren.
    Und wenn Daniel glaubt, er könne beide haben? Wenn er sich weigert, mit Christine zu reden? Dann sag ich ihm, dass er sich täuscht, denkt Benno, ich sag ihm, dass er Christine nicht hat, nicht mehr. Sie hat mich, wird er ihm sagen, so, wie es von Anfang an hätte sein sollen. Sie wollte mich schon damals, ich war nur zu feige, dich zu verletzen, jetzt sei du nicht genauso feige, lass sie mir und bleib mein Freund.
    Als er in den Wagen steigt, um zum Studio zurückzufahren, spürt er, dass er Angst hat vor Daniels Reaktion, falls er ihm sagen muss, dass Christine und Benno das Paar sind und Daniel und Meike das andere Paar. Was ist, wenn Daniel nur eine Affäre mit Meike will? Nur eine kleine Abwechslung? Nur hier und da erfrischenden Sex? Dann muss ich das zerstören, denkt Benno, es geht nicht anders. Diesmal werde ich nicht feige sein. Wenn er’s nicht von selbst kapiert, dann muss ich ihn zwingen.
    —
    Am Tisch auf der Wiese sitzen Meike und Daniel, er mit auf die Arme gelegtem Kopf, sie mit im Schoß verschränkten Händen – der Anblick ist schon aus einiger Entfernung trostlos, und je näher Benno den beiden kommt, desto deutlicher sieht er, dass Daniel schluchzt und Meike blicklos in die Ferne starrt. Sie scheint ihn nicht zu erkennen.
    »Was ist los mit euch beiden«, fragt er, »ist irgendwas passiert?«
    »Christine war da«, murmelt Daniel zwischen seinen Armen hervor.
    Benno setzt sich.
    »Und was«, bohrt er weiter, »wieso war, wo ist sie jetzt?«, weil keiner von beiden Anstalten macht, zu reden.
    Meike rafft sich auf. »Sie muss Daniel und mich gehört haben. Sie wollte in deinem Zimmer auf dich warten, und wir waren nebenan. Carlo sagt, sie hat sich wortlos umgedreht, ist runtergegangen, ins Auto gestiegen und losgefahren.«
    Daniel hebt den Kopf. Er hat Tränen im Gesicht. »Wir haben alle Mittagspause gemacht. Die anderen sind in der Stadt, und Meike und ich waren auf dem Zimmer.«
    Benno starrt ihn an. Er weiß nicht, ob ihm schlecht wird, oder ob er nur die Konzentration spürt, die er jetzt braucht. Er
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