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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Autoren: Adam Nevill
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Lowndes Square nicht allzu viele Leute unterwegs, die sie mustern konnten, nur ein paar arabische Damen, die aus einem silbernen Mercedes stiegen und eine junge Russin, die wütend in ihr Handy sprach. Nach dem schrecklichen Gewühl auf der Knightsbridge Road war dieser elegante Platz geradezu eine Erholung. Er wurde von luxuriösen Wohnhäusern und Hotels lückenlos eingerahmt. In der Mitte dieses Rechtecks lag ein kleiner ovaler Park, der von einem Geländer begrenzt wurde, hinter dem kleine Bäume und leere Blumenbeete zu sehen waren. Die hohen Gebäude schirmten den Platz von der Hektik und dem Lärm der Großstadt ab.
    »Nicht zu fassen!« Ihr und ihrer Mutter gehörte nun eine Wohnung in dieser Gegend? Im schlimmsten Fall konnten sie das Apartment für eine ganze Stange Geld verkaufen. Aber dieser Gedanke behagte ihr nicht. Sie wollte hier wohnen. Ihre Großtante hatte sechzig Jahre lang hier gelebt, und Apryl verstand jetzt, warum. Das war ein absolut klassisches, makelloses und elegantes Haus mit Tradition und Geschichte. Sie stellte sich vor, dass hinter den Fenstern Butler mit höflichen, aber ausdruckslosen Gesichtern umhergingen. Bestimmt wohnten hier viele Adelige. Und Diplomaten. Und Milliardäre. Leute, die ganz anders waren als sie und ihre Mutter. »Verdammt, Mama, das wirst du echt nicht glauben«, sagte sie vor sich hin.
    Sie kannte nur ein einziges Foto von ihrer Großtante Lillian, und das stammte aus der Zeit, als diese noch ein kleines Mädchen gewesen war. Darauf trug sie ein eigenartiges weißes Kleid, genau wie ihre ältere Schwester, Apryls Oma Marilyn. Auf dem Bild fasste Lillian ihre große Schwester an der Hand. Sie standen mürrisch lächelnd im Vorgarten ihres Hauses in New Jersey. Damals hatten Lillian und Marilyn sich so nahegestanden wie nie mehr später in ihrem Leben. Lillian war während des Krieges nach London gegangen, wo sie als Sekretärin für die amerikanischen Streitkräfte gearbeitet hatte. Dort hatte sie einen englischen Piloten kennengelernt, den sie später heiratete. Sie kam nie mehr nach Amerika zurück.
    Lillian und Marilyn hatten sich offenbar Briefe oder Postkarten geschrieben, denn Lillian wusste von Apryls Existenz. Als sie klein war, bekam sie zum Geburtstag Briefe von ihrer Großtante. Darin lagen immer schöne englische Geldscheine. Pfundnoten. Bunte Scheine mit Bildern von Königen und Herzögen und Schlachten und Gott weiß was noch alles darauf. Man konnte die Wasserzeichen erkennen, wenn man sie ins Licht hielt, und das war ihr immer geradezu magisch erschienen. Sie hätte sie gern behalten, statt sie gegen Dollar einzutauschen, denn die amerikanischen Scheine sahen im Vergleich wie Spielgeld aus. Seit sie dieses Geld in den Händen gehalten hatte, wünschte sie sich, nach England zu reisen. Und nun war sie zum ersten Mal wirklich dort.
    Leider hatte Lillian schon vor langer Zeit aufgehört ihnen Grüße zu schicken. Die letzte Weihnachtskarte war gekommen, als Apryl noch keine zehn Jahre alt war. Ihre alleinerziehende Mutter war so sehr mit dem Alltag beschäftigt gewesen, dass keine Zeit geblieben war, sich auch noch darum zu kümmern. Erst als Oma Marilyn starb, hatte ihre Mutter an Lillians Adresse im Barrington House geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Also waren sie davon ausgegangen, dass sie auch gestorben war, drüben in England, wo sie ein Leben geführt hatte, von dem sie überhaupt nichts wussten. Und damit war die letzte dünne Verbindung zu dieser Generation in ihrer Familie für immer abgebrochen.
    Bis ihnen vor zwei Monaten ein Testamentsvollstrecker einen Brief geschickt hatte, um sie davon zu unterrichten, dass sie als letzte lebende Verwandte das Recht hätten, das Erbe der »traurigerweise verstorbenen Lillian Archer« anzutreten. Ihre Mutter und sie selbst waren immer noch wie benommen. Ein Todesfall, der vor acht Wochen eingetreten war, hatte dazu geführt, dass sie nun eine Wohnung in London besaßen. Und zwar im noblen Knightsbridge-Viertel. Genau da, wo sie jetzt stand, im Barrington House, einem großen weißen Gebäude, das am unteren Ende des Platzes lag. Zahlreiche, aus weißen Steinquadern gebaute Stockwerke türmten sich übereinander, aber der strenge Klassizismus des Gebäudes wurde durch einige Art-Deco-Elemente an den Fenstern gemildert. Das Haus war gut proportioniert und strahlte eine stolze Schönheit aus. Als sie vor dem breiten Eingangsportal mit seinen messingbeschlagenen Glastüren, den mächtigen
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