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Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16

Titel: Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Autoren: Adam Nevill
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aufgeschlagen Seite eines Comics.
    »Sie haben Ihre Tante Lillian also gar nicht gekannt?«, fragte er vorsichtig, als würde er über etwas Wichtiges nachdenken, dass er ihr eigentlich erzählen sollte.
    »Nein. Meine Mutter kann sich noch an sie erinnern, aber auch nicht besonders gut. Und Lillian hatte auch kein besonders inniges Verhältnis zu meiner Oma Marilyn. Während des Krieges haben sich ihre Wege getrennt. Das habe ich nie verstanden. Ich bin ja ein Einzelkind und habe mir immer eine Schwester gewünscht. Wir dachten, dass Lillian schon seit vielen Jahren tot ist. Meine Oma ist vor fünfzehn Jahren gestorben. Und meine Mutter hatte genug mit mir zu tun, da konnte sie nicht auch noch alles Mögliche in die Wege leiten, um herauszufinden, was aus Lillian geworden war. Sie war ja so schon überlastet.« Sie redete zu viel, das wusste sie, aber sie war viel zu aufgeregt, um den Mund halten zu können.
    Stephen biss sich auf die Unterlippe und seufzte dann. »Ihrer Tante ging es zuletzt nicht besonders gut, fürchte ich, Apryl. Sie war eine wunderbare Frau. Sehr freundlich. Und das sage ich jetzt nicht einfach so. Wir haben sie alle gerngehabt. Aber sie war schon sehr alt, und geistig stand es mit ihr schon seit Längerem nicht mehr zum Besten. So war es während der ganzen zehn Jahre, die ich schon hier arbeite, und mein Vorgänger hat das Gleiche erzählt. Vor einigen Jahren haben wir dafür gesorgt, dass ihr das Essen geliefert wurde. Und eine Pflegerin hat sie einmal in der Woche besucht. Die Verwaltung hat sich darum gekümmert, dass ihre Schecks eingelöst und die Rechnungen bezahlt wurden.«
    »Das wusste ich nicht. Das klingt ja schrecklich.«
    »Das war ja nichts außergewöhnlich Schlimmes. So was kommt in dieser Gegend der Stadt häufig vor. Die Menschen entfremden sich von ihren Familien, verlieren den Kontakt. Das ist nichts Besonderes in diesen Kreisen. Bei Lillian kam noch hinzu, dass ihr Geisteszustand sich verschlechterte. Das war schon Jahre vor ihrem Tod ziemlich schlimm. Sie hätte eigentlich nicht mehr hier wohnen sollen. Aber das war nun mal ihr Heim, und wir haben uns alle für sie ins Zeug gelegt – die Portiers und die Reinigungskräfte –, damit sie hierbleiben konnte.«
    »Das war aber sehr nett von Ihnen.«
    »Oh, das ist nicht der Rede wert. Sie brauchte ja nur ein bisschen Milch und Brot und ein paar Sachen des täglichen Bedarfs, die wir in den Geschäften in der Nähe kaufen konnten. Wir helfen gern, wenn wir können. Aber wir hatten immer Angst, dass sie stürzen könnte oder … « Er hielt inne, um sich zu räuspern. »… verloren geht.«
    »Hatte sie denn gar keine Freunde?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Seit ich hier arbeite, hatte sie kein einziges Mal Besuch. Sehen Sie … « Er dachte kurz nach und strich sich mit der Hand übers Gesicht. »Sie war recht exzentrisch. Das ist die höflichste Art, wie ich es ausdrücken kann, und ich meine das keinesfalls despektierlich.« Er schien unangenehm berührt zu sein, als er das sagte. Er hatte nur sehr leise gesprochen. Verrückt , meinte er offensichtlich.
    Aber sie wollte gern alles über ihre Großtante wissen, die ihr und ihrer Mutter diese stolze Immobilie mitten in London hinterlassen hatte. Wenn das Apartment erst einmal verkauft war, würde sie dafür sorgen, dass diejenigen, die sich um die alte Dame gekümmert hatten, eine angemessene Belohnung erhielten. Ihre Mutter hatte bestimmt nichts dagegen. Auch sie würde sich ein bisschen schuldig fühlen. Genau wie Apryl in diesem Moment. Obwohl sie ja überhaupt keine Schuld traf. Sie hatten sich ja nicht absichtlich zurückgezogen: Lillian war eine entfernte Verwandte gewesen, die auf der anderen Seite des Erdballs gelebt hatte.
    »Erinnern Sie sich vielleicht auch noch an ihren Ehemann? Reginald?«, fragte Apryl. »Ich glaube, er ist im Krieg Pilot gewesen.«
    Stephen sah weg, seine blassblauen Augen wanderten nervös umher, schauten nach oben und zu allen Seiten, als inspizierte er die Lichter im Aufzug, die tatsächlich recht dunkel waren und einen eher trüben Lichtschein auf die Mahagoni-Vertäfelung und die Messingbeschläge warfen. »Äh, nein. Er starb noch vor meiner Zeit hier. Aber ich könnte mir vorstellen, dass sein Tod sie ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht hat.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Aber in diesem Augenblick hielt der Aufzug mit einem Stöhnen an, das von einem Klappern gefolgt wurde, als die Türen sich aufschoben. Stephen schien erleichtert,
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