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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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diesem alten Gebäude eine wahre Aufgabe und wahrlich eine Leistung. Und wenn es innen und außen stürmt, so bleiben die beiden erst einmal ruhig, weil etwas anderes sowieso nicht hilft.

Annis Kindheit
    W enn Anni etwas nicht mag, dann sind es Schuhe. Sie zwicken, zwängen ein und – so behauptet die Anni – man schwitzt in ihnen. Die Anni ist eben eine hartgesottene Waitlerin, wie die Bewohner des Bayerischen Waldes im Dialekt genannt werden: Nur im Winter trägt sie Stiefel, wenn sie Schnee schaufeln muss. Aber jetzt, im Frühling, hält sie es nicht mehr aus, da läuft sie einfach barfuß im Garten und im Haus – ein Anblick der verwöhnte Städter frösteln lässt. »Ich kann über jedes Stoppelfeld gehen«, ruft die Anni mit stolzgeschwellter Brust. Und wie sie so dasitzt auf dem alten Sofa, ähnelt sie einem kleinen, alten Buddha – zufrieden, fröhlich und bescheiden. Ihre Füße runzlig, derb und ungewaschen. »Ich bin das Barfußlaufen gewohnt von Kindheit an«, erinnert sich die Anni. Sie braucht kein Schuhregal, denn sie besitzt nur ein Paar Hausschuhe, Turnschuhe und ein Paar Stiefel. Und das reicht für sie, denn von Ende April bis Allerheiligen verzichtet sie komplett auf Fußbekleidung. Das deutsche Sprichwort »Wer barfuß läuft, den drücken keine Schuhe« klingt zwar simpel, trifft aber genau auf die Anni zu. Viel Geld hat sie nie gehabt, aber sie schert sich nicht darum. Eine schönere Kindheit – ja, da lacht sie –, die hätte sie haben können, wenn sie an einem anderen Ort, in einer anderen Familie geboren worden wäre. Alles Konjunktive, denn Anni ist so aufgewachsen, wie sie ist. Und davon erzählt sie jetzt, während ihre nackten Füße hin und her baumeln:
    Mein Mädchenname ist Schmid, Schmid Anni. Ich bin 1936 in Schabenberg geboren. Das ist mitten im Bayerischen Wald, bei Schönberg. Acht Häuser hat das Dorf gehabt und in einem jeden war ein Haufen Kinder. Bei uns waren vier Kinder daheim und ich war die Älteste. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt, nur auf dem Foto. Der ist – so haben sie es mir erst viel später erzählt – in München in der Kaserne »kaputtgegangen«. Zwei Wochen, bevor ich auf die Welt gekommen bin. Irgendwie hat er mit einer Kanone hantiert und die ist dann losgegangen und hat mehrere Leute zerrissen. Da war er dabei und meine Mutter saß daheim, ledig und hochschwanger.
    Meine Mutter hat nach eineinhalb Jahren wieder geheiratet. Und dann hat sie noch mal drei Kinder bekommen. Mich hat sie in die Ehe mitgebracht, aber mein Stiefvater hat mich behandelt wie seine eigenen Kinder. Das war ein braver Mann, ein netter. Von dem habe ich nie erfahren, dass er nicht mein richtiger Vater ist. Das habe ich erst viel später rausgekriegt.
    Meine Mutter war eine ganz strenge. Arbeiten, arbeiten, arbeiten – das war alles für sie. Arbeiten haben wir dürfen, aber Luxus und Freizeit hat es nicht gegeben für uns. Zur Schule haben wir jeden Tag sechs Kilometer einfach zu Fuß gehen müssen. Meistens nur barfuß. Um sechs Uhr abends sind wir erst wieder heimgekommen. Da hat die Mutter schon gewartet mit der Stallarbeit. Ausmisten, Futter verteilen, melken, da waren wir oft erst um neun Uhr fertig. Und müde. Nach dem langen Tag. Aber dann mussten wir uns noch an den Stubentisch setzen und unsere Hausaufgaben machen. 3 x 3, 5 x 2, 6 x 5 – das Einmaleins, Schreiben, Lesen. Und das mit einer Lampe, die hat nur eine billige 10-Watt-Glühbirne gehabt. Das Licht war so schlecht, eine Kerze wäre besser gewesen. Wir sind immer müder geworden, aber die Mutter hat uns nichts durchgehen lassen. Die hat uns sitzen lassen, bis alles fertig war. Erst dann durften wir ins Bett.

    Abb. a: Anni (rechts) mit Geschwistern
    Einmal hätte ich gern als Kind ausgeschlafen. Aber um 5 Uhr hat uns die Mutter aufgeweckt, jeden Tag, auch samstags. Denn früher war noch am Samstag Schule. Selbst am Sonntag mussten wir um 5 Uhr früh aufstehen. Unsere Mutter war auch noch sehr fromm. Und so mussten wir zum Gottesdienst laufen, wieder sechs Kilometer zu Fuß. Ausgekommen bist du bei der Mutter nicht. Jammern hat auch nichts geholfen. Das hat es eigentlich nur schlimmer gemacht. Uns ordentlich verhalten – das sollten wir. Ihr Spruch war: »Wenn ihr in der Kirche nicht aufpasst, dann kommt ihr in die Hölle.« Den hat sie uns mit auf den langen Weg gegeben. Da haben wir Angst gehabt, vor der Hölle hat sich damals jedes Kind gefürchtet.
    Am Sonntag gab es mittags Fleisch. Aber kein Kind
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