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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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hergenommen.«
    Während Anni nun die erste Ladung Plätzchen in den Ofen schiebt, berichtet sie weiter: »Weihnachten ist bei uns wie jeder Werktag abgelaufen. In der Früh sind wir noch in den Stall gegangen, weil Tiere kennen keine Feiertage. Immer acht Tage vor Weihnachten sind unsere Puppen verschwunden, die waren aus Stoff. Meine Mutter hat ihnen neue Kleider genäht und an Weihnachten lagen sie wieder auf dem Gabentisch. Am Christbaum haben sie Äpfel hingehängt, Lametta, zwei oder drei Kugeln – und fertig war die Dekoration. Geschenke hat man oft in Zeitungspapier eingewickelt, das war uns Kindern egal: Hauptsache, wir haben was gekriegt. Und hübsch gläubig war alles: Lesen aus der Bibel, Rosenkranz beten, sechs Kilometer zur Christmette zu Fuß und wieder sechs Kilometer zurück im tiefen Schnee, das war unser Weihnachten.«
    Doch jetzt schnell, schnell – die Plätzchen müssen raus aus dem alten Elektroherd, sonst verbrennen sie. Dabei wechselt Anni auch gleich das Thema, denn Gefühlsduseleien, die liegen ihr nicht. Im Leben muss etwas vorangehen, deshalb wirken bei der 76-Jährigen auch alle Bewegungen so flott, so gelenkig. Fünf Sorten – Ingwerplätzchen, Vanillekipferl, Wespennester, Butterbäckerei und Cognacplätzchen – hat sie in diesem Jahr mit ihrem Elektroofen gebacken. Sie benutzt ihn nur für Kuchen und Plätzchen. »Im Holzherd kann man keine Temperatur einstellen, da werden die Plätzchen auf einer Seite weiß und auf der anderen schwarz«, rechtfertigt sie sich, weil der Elektroherd so viel Platz einnimmt in der kleinen Stube.
    Normalerweise kocht die Anni alles mit ihrem Holzherd. Strom braucht sie deshalb nicht viel im Jahr – und darauf ist sie stolz. 1 000 Kilowattstunden, das reicht dem alten Ehepaar. Aber bei aller Sparsamkeit hasst die Anni Energiesparlampen. »Die brauchen fünf Minuten, bis sie hell sind«, empört sie sich. Wo sie doch in ihrem Schlafzimmer nach zwei Minuten schon im Bett liegt! In der Anni steckt eben auch ein kleiner Don Quijote – und wenn es nur der Kampf gegen die Energiesparlampen ist. »Die können mich nicht ärgern«, sagt sie heldenhaft und meint mit »die« irgendetwas zwischen Landes- und Bundesregierung oder irgendwelche Herren weit weg in Brüssel. »Ich habe so viel’ Glühbirnen gekauft, dass sie mein Lebtag langen«, nickt sie, zufrieden mit sich selbst. Fünfzig Glühbirnen, das muss reichen, hat sie sich ausgerechnet, bis an ihr Lebensende.
    Doch wann wird das sein? »Solange ich mir helfen kann und geistig und körperlich da bin, dann geht es«, meint die Anni. Sorgfältig bestreicht sie jetzt ihre Plätzchen mit einem dicken Zuckerguss. »Aber wenn man ein Pflegefall wird, dann gehört man erschossen«, führt sie resolut ihren Gedankengang zu Ende. Das ist für sie genauso wie mit ihren Hennen, die einfach wegmüssen, wenn die Zeit gekommen ist. »Freilich, wenn ich vor ihm sterbe«, blickt die Anni zum Alois hin, »dann ist es schlechter, weil er sich mit nichts helfen kann.« Der Alois, der gerade auf dem Sofa schon Vanillekipferl aus seiner persönlichen Plätzchendose genascht hat, bestätigt mit einem Nicken, was die Anni gesagt hat: »Ja, mit dem Kochen hapert es schon bei mir. Aber dann würde ich mir einfach Wurstsachen kaufen, einen Leberkäse warm machen, das langt mir«, malt er sich sein Leben als Alleinstehender aus. Doch die Anni glaubt ihm kein Wort, das hält sie alles für Illusionen. Um das Thema zu beenden, sagt sie: »Wir sind froh, dass wir noch beieinander und gesund sind«, und räumt ihre Dose mit den frisch gebackenen Butterplätzchen in das Küchenbüfett. »Ja«, wischt sich der Alois noch die Brösel von seiner Hose, »wenn man krank ist, das ist das Schlimmste.«
    Die Anni hat inzwischen das Licht eingeschaltet, eine kreisförmige Neonröhre über dem Küchentisch, die gleich OP-Atmosphäre in der Stube verbreitet. Denn draußen hat die Dämmerung nun den betongrauen Tag abgelöst. Mit einem winzigen Baum bewaffnet, kommt Anni aus der Speisekammer nebenan. Ein kläglicher Weihnachtsbaum, den sie gestern im Dorf für nur 3 Euro gekauft hat. Und Weihnachtsgeschenke? »Heuer gibt es überhaupt keine Geschenke«, berichtet die Anni, während sie noch die Christbaumkugeln und die Ker zen holt. Dann stellt sie die alten Schuhschachteln neben den Alois hin. Der stimmt gleich pflichtbewusst zu: »Mir macht es nichts aus, wenn ich nichts kriege«, öffnet die Schachteln und betrachtet die Kugeln, die schon
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