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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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schlichten, weißen Betttuch genäht. Ein »Not-Kleid«, das auch noch ihre beiden jüngeren Schwestern zur Kommunion tragen mussten.
    Von ihrer Mutter hat die Anni schon als junges Mädchen Nähen und Stricken gelernt. »Ich hab’ oft im Winter zwanzig bis dreißig Paar Socken stricken müssen und meine Brüder sind Schlitten gefahren«, ärgert sich die Anni noch heute über die ungerechte Behandlung. Und die Socken? »O mei, die waren alle aus Schafswolle, die haben schrecklich gekratzt«, denkt sie an ihre raue Kindheit zurück.
    Als Mädchen musste man damals Handarbeiten lernen, das war einfach so. Und es hat der Anni später im Leben ja weitergeholfen. Bettwäsche, Leintücher, Hosen, Jacken, Hemden – alles hat die Anni für ihre Familie selbst genäht und Socken und Pullover hat sie gestrickt. »Wenn ich das alles hätte kaufen müssen, dann wäre es aus gewesen für uns«, sagt sie und schaut konzentriert auf die Nadel ihrer uralten Nähmaschine, die durch den Stoff saust. Nur ihr Hochzeitskleid, das hat sie vor über fünfzig Jahren gekauft. Zusammen mit den Schuhen musste sie 150 Mark ausgeben, damals waren das fünf Monatslöhne für sie. Dieses Kleid hält sie bis heute in Ehren und es darf in ihrem Schrank hängen bleiben, bis die Anni nicht mehr leben wird. »Manche Leute können sich gar nicht vorstellen, dass wir von 550 Euro im Monat leben können«, denkt die Anni laut, während sie mit dem Nähen aufhört, den Faden abreißt, das »neue« Schürzel dem Alois zeigt und es nach seinem wohlwollenden Nicken sorgfältig zusammenlegt.
    So arm und so bescheiden wie Anni und Alois leben, das findet man heute kaum mehr. Luxus – das ist für die beiden schon eine einfache Kaffeemaschine oder eine neue Kettensäge. »Uns langt des Geld«, meint der Alois auf die immer gleiche Frage ihrer Besucher. »Mehr brauchen wir nicht«, fällt die Anni wie im Kanon ein. Da haben sie sich abgestimmt, sind ganz d’accord. Wir kommen aus – das ist ihr Motto. Wir kommen aus, das heißt in ihrer Sprache der Bescheidenheit: Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben. Und manchmal wird die Anni dabei schon etwas frauenfeindlich: »Ein altes Sprichwort sagt: ›Die ersten vierzehn Tage geht die Frau aus, am fünfzehnten geht das Geld aus‹«, weiß sie bei solchen Gelegenheiten zu sagen. Vielleicht, weil sie genau weiß, dass sie nicht zu dieser Sorte von verschwendungssüchtigen Frauen gehört. Deshalb wird bei der Anni alles aufgehoben, egal, ob es viel, wenig oder gar nichts gekostet hat. Fünfzig Glühbirnen, zweihundert Eierschachteln, 180 Einweckgläser und über 15 Kilogramm Salz, das sind so die kleinen Schätze der Anni, die sie irgendwo in dem großen Haus lagert.
    Seit Jahren liegt bei der Anni auf dem Fensterbrett auch eine unvollendete Tischdecke, die sie als 15-Jährige begonnen hat. Die feine Handarbeit schaut aus wie ein Fischernetz, das in eine riesige Tasse Kaffee gefallen und dort jahrelang vergessen worden ist. Mokkabraun eben. Früher hätte man solch ein Netz zu besonderen Anlässen über eine weiße Tischdecke drapiert. Es ist ein Meisterwerk alter Handarbeitskunst. »Filieren« nennt Anni diese vergessene Knüpftechnik, über die es längst keine Bücher mehr gibt. Denn so viel Zeit, wie man für eine solche Decke braucht, hat heute keiner mehr.
    Draußen ist es mittlerweile dunkel geworden und vereinzelt fallen wieder Schneeflocken sacht zur Erde. In der Stube hört man kein Geräusch, selbst die Hühner von der Anni schlafen schon im Stall. Am Tisch sitzt Anni mit ihrer dicken Brille und knüpft sorgfältig an ihrem unfertigen Netz weiter. Ganz genau muss sie abzählen, bei so einer Decke kann man sich keinen Fehler leisten, sonst muss man alles wieder auftrennen. Eine »Fiselei« ist das, eine Meisterübung in Geduld. »Ja, da kann man nicht so einfach her und den Baum rauf«, schmunzelt die Anni. Nach einer Stunde hat sie gerade einmal eine neue Reihe Maschen geschafft, einen Zentimeter ist die Decke wieder im Durchmesser gewachsen.
    Doch Anni sitzt gern hier, diese Decke ist für sie wie eine Zeitmaschine, die sie direkt in ihre Jugend führt. »Wenn ich so dasitze«, sagt sie, »dann kann ich an alles zurückdenken, wie alles so war.« Mit 15 Jahren ist die Anni damals von zu Hause weggekommen, um im Damenstift in Neuhaus am Inn eine Hauswirtschaftslehre zu machen. Mit Heimweh kämpfte die junge Anni aller dings nicht lange: »Mir ist es im Kloster besser gegangen wie daheim«, erzählt
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