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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Nacht sprechen, wo Sie doch genau wissen, dass es die schlimmste Nacht meines Lebens ist?«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Dann tauchte sie wieder in die Versenkung unter.
    Kopfschüttelnd ging Marilla in die Küche zurück und machte sich daran, das Geschirr vom Abendessen zu spülen. Matthew rauchte Pfeife, was bei ihm immer ein sicheres Zeichen für innere Unruhe war. Mit Rücksicht auf Marilla, die das Rauchen für eine schlechte, ungesunde Angewohnheit hielt, rauchte er äußerst selten. Aber manchmal war die Pfeife für ihn einfach unentbehrlich. Marilla wusste das und übersah es dann geflissentlich.
    »Das ist ja eine schöne Bescherung!«, sagte sie zornig. »Das hat man nun davon, wenn man andere um etwas bittet, anstatt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Gleich morgen früh werde ich zu Mrs Spencer hinüberfahren und die Sache klären. Das Kind muss wieder zurück ins Waisenhaus.«
    »Ja, wahrscheinlich hast du Recht«, gab Matthew zögernd zurück. »Wahrscheinlich? Was soll das heißen?«
    »Hm ... sie ist ein liebes kleines Ding, Marilla. Eigentlich Einjammer, sie zurückzuschicken. Sie würde ja so gern bleiben.«
    »Matthew Cuthbert, du willst doch nicht sagen, wir sollten sie behalten?«
    Marilla verstand die Welt nicht mehr. Sie hätte nicht überraschter sein können, wenn Matthew ihr plötzlich mitgeteilt hätte, er würde am liebsten den ganzen Tag auf dem Kopf stehen.
    »Hm, nein ... ich glaube nicht. . . das heißt«, stammelte Matthew, der sich immer unwohl fühlte, wenn er eine genaue Aussage machen sollte. »Ich meine, niemand kann von uns verlangen, dass wir sie hier bei uns aufnehmen.«
    »Allerdings. Sie ist nicht die Richtige für uns.«
    »Aber vielleicht sind wir die Richtigen für sie«, wandte Matthew ein. »Matthew Cuthbert, ich glaube langsam, dieses Kind hat dich behext! Ich seh’s dir doch an der Nasenspitze an, dass du sie hier behalten willst.«
    »Hm, tja ... sie ist ein so interessantes Ding«, fuhr Matthew fort. »Du hättest hören sollen, was sie mir alles auf der Fahrt vom Bahnhof erzählt hat.«
    »Oh, reden kann sie, das ist mal sicher. Aber ob ausgerechnet das zu ihren Gunsten spricht? Ich mag Kinder nicht, die pausenlos vor sich hinplappern. Ich möchte kein Mädchen - und selbst wenn ich eines wollte, dann wäre dieser redselige Rotschopf auch nicht gerade mein Typ. Nein, nein, wir müssen sie auf schnellstem Weg dahin zurückbringen, wo sie hergekommen ist.«
    »Ich könnte einen jungen Franzosen einstellen, der mir bei der Arbeit hilft«, schlug Matthew vor. »Und sie könnte dir ein bisschen Gesellschaft leisten.«
    »Ich brauche keine Gesellschaft«, erwiderte Marilla schroff. »Und ich habe nicht vor, sie bei uns aufzunehmen.«
    »Wir machen natürlich alles so, wie du es sagst, Marilla«, schloss Matthew, stand auf und legte seine Pfeife beiseite. »Ich gehe ins Bett.«
    Damit verließ er die Küche und auch Marilla legte sich mit düsterer Miene schlafen, nachdem sie das Geschirr gespült und abgetrocknet hatte. Oben im Ostgiebel von Green Gables lag ein einsames, heimatloses Kind und weinte sich in den Schlaf.

04 - Der erste Morgen auf Green Gables
    Es war schon heller Morgen, als Anne erwachte, sich im Bett aufsetzte und verwirrt auf das Fenster starrte, durch das eine Flut warmen Sonnenlichts hereinströmte.
    Im ersten Moment konnte sie sich nicht entsinnen, wo sie eigentlich war. Doch dann fiel ihr mit einem Mal alles wieder ein: Sie war auf Green Gables, aber man wollte sie nicht hier behalten, weil sie ein Mädchen war!
    Doch es war ein herrlicher Morgen und vor ihrem Zimmer stand ein Kirschbaum in voller Blüte. Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett, öffnete weit das Fenster und sah staunend hinaus in den sonnigen Junimorgen.
    Der riesige Kirschbaum vor ihrem Fenster stand so nahe am Haus, dass seine Äste die Wände berührten; und er war so voller Blüten, dass man kaum ein einziges grünes Blatt sehen konnte. Auf beiden Seiten des Hauses lagen große Obstgärten mit Apfel- und Kirschbäumen. Sie sahen aus wie ein einziges Blütenmeer. Das Gras unter den Bäumen war von gelbem Löwenzahn übersät. Etwas weiter unten im Garten blühte der Flieder und der Morgenwind wehte seinen süßlichen Duft herüber.
    Auf der anderen Seite des Gartens erstreckte sich eine saftige Kleewiese bis zu dem von weißen Birken umsäumten Bachlauf. Jenseits des Baches erhob sich ein kleiner Hügel mit Fichten und Tannen, durch deren Zweige sie den grauen Giebel des
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