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Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Autoren: Rina Bachmann
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hatte. Ein Schwertvogel hatte den Rumpf eines dicken Geiers, gekrönt von einem kleinen Kopf mit einem überproportional großen menschlichen Gesicht. Das oft lange, zottelige Haar glänzte vor Fett. Die Flügel waren mit langen, zweischneidigen Messern ausgestattet, mit denen sie Kadaver mühelos in einem Schwung vom After bis zum Hals aufschlitzen konnten. Die Klauen ähnelten knochigen Händen mit viel zu langen Fingern. Wenn keine Augen mehr an den Toten waren, gingen sie zu der warmen Leber und den Geschlechtsorganen über. Sie sollten ewige Schönheit und Jugend bringen, so hieß es.
    Anna wandte ihren entsetzten Blick von den blutüberströmten Tieren ab. Übelkeit stieg in ihr hoch. Bloß weg hier!
    Sie lief los, rutschte ständig aus, blieb aber wie durch ein Wunder auf den Beinen. Das trübe Wasser spritzte hoch und hinterließ dunkle Flecken auf ihrem Mantel. Einige Schritte weiter musste sie eine Pause einlegen. Die Übelkeit war nicht mehr zurückzuhalten. Sie lehnte sich an einen Baum und beugte sich vor. Es gab nicht viel in ihrem leeren Magen, der Brechreiz hielt sie dennoch fest in seinen hässlichen Klauen. Erst nach einer ganzen Weile hörte die Tortur auf. Die junge Frau wischte das Gesicht mit der bloßen Hand ab und setzte ihre Wanderung entschieden fort. Mehr denn je wünschte sie sich einen Atemzug frischer Luft und eine Pause von ihren trüben Gedanken.
    Bald kam sie auf eine Lichtung. Früher war hier eine kleine grüne Wiese gesprenkelt mit Gänseblümchen mitten im Wald gewesen. Jetzt erstreckte sich an der gleichen Stelle ein übelriechender Tümpel. Baumstämme, dick und dünn, lagen am Uferrand quer übereinander. Die unteren waren glitschigbraun vom langen Liegen. Dünne schwarze Sträucher ragten hier und dort aus dem trüben Wasser. Anna lehnte sich mit dem Rücken an einen kahlen Baum, der noch fest genug da stand, und atmete tief ein. Eine strenge Mischung aus Verwesung und Schwefel stieg ihr in die Nase. Tränen schossen ihr plötzlich in die Augen und ergossen sich in heißen Rinnsalen über die kühlen Wangen. Das kann doch nicht sein, dass es so weitergehen soll! Dass ich jeden Tag zusehen muss, wie die Oberwelt stirbt! Wer macht so etwas? Und warum? Sie schüttelte verzweifelt den Kopf . Man muss doch etwas dagegen tun können! Wenn ich bloß wüsste, was? Gedankenverloren stand sie eine Weile da. Die Bilder von den toten Tieren standen hartnäckig vor ihrem inneren Auge. Der Geruch des frischen Blutes wollte nicht weichen. Erneut zog sich ihr Magen zu einem Knoten zusammen.
    Plötzlich hörte sie das stumpfe Krachen morscher Zweige. Schrilles Gekreische von irgendwo weiter vorne durchschnitt die nebelgetränkte Luft. Laut und hysterisch, wie es sich in dieser toten Stille anhörte, ließ es keine Zweifel daran, wer sich dort ereiferte. Abscheuliches Pack . Leise schlich sie hin, stellte sich hinter einen dicken Baum und spähte vorsichtig am Stamm vorbei.
    Zwei Schwertvögel ließen sich auf den unteren Ästen eines mit dunkelbraunem Moos bedeckten Baumes nieder. Anna kamen ihre aufgedunsenen Gesichter einfältiger Weiber heute besonders hässlich vor. Die Bestie mit rotem Gefieder und schwarzem Haar, das ihr in dicken Strähnen auf die gewölbte Brust fiel, griff gerade mit den kräftigen Krallen in die gelblich blonden Haare ihrer Kumpanin. Diese kreischte, schlug mit den Flügeln auf die Angreiferin zu und versuchte an ihre schwarzen Zotteln zu gelangen. Braunes Wasser, das von dem ockergelben Gefieder herunterlief, spritzte fächerförmig um die beiden herum.
    Sie ging hinter dem Baum in Deckung . Fehlte mir noch … dieses stinkende Zeug im Gesicht . Eine neue Welle schrilles Geheul zerschnitt die Luft. Die Krallen der Blonden landeten in schwarzen Strähnen. Die junge Frau presste beide Hände an die Ohren. Ihr war, als würde ihr gleich der Kopf platzen. Sie hätte sich sonst angewidert umgedreht und wäre so schnell wie möglich weggegangen, doch etwas an diesem Streit kam ihr ungewöhnlich vor. Sie versuchte sich so leise wie möglich näher an die Schwertvögel heranzupirschen. Hinter dem nächsten dickeren Baum verharrte sie still und hörte aufmerksam hin.
    Im Gezänk waren einzelne Wortfetzen auszumachen: „Wertvoll …“, „Herrscherin …“, „sehr interessiert …“, „von Vorteil …“, „sofort hinbringen …“ Danach war in dem Gekreische, das Anna bis ins Knochenmark durchzudringen schien, nichts mehr zu verstehen. Sie atmete tief durch. Ganz
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