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Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Autoren: Rina Bachmann
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du nicht!“, sagte Alphira in strengem Ton. Dann ließ sie den Kopf wieder auf die Kissen fallen und schloss die Augen. Ihre Hände, die die warme Stola vor der Brust gehalten hatten, rutschten kraftlos herunter.
    Die junge Frau richtete sich auf und lief wieder aufgeregt im Raum umher. Ihr fiel auf, dass die Großmagierin ihr Lieblingsamulett wieder nicht anhatte. Diesen fein gearbeiteten, achtzackigen Stern mit dem großen Stein in der Mitte, der seine Farben wechselte, trug Alphira sonst jeden Tag. Seit einiger Zeit aber war er nicht mehr da. Seltsam. Das ist ein fester Bestandteil ihrer Kleidung, seit ich sie kenne. Sie kniete sich wieder vor ihr. „Oma, wie kann es sein, dass du nichts gegen diese fürchterliche Lage unternimmst und auch mir verbietest, etwas zu tun?“, fragte sie aufgeregt. „Du siehst doch selbst, dass es nichts bringt, auf ein Wunder zu warten. Dieses Leiden, Abwarten und Zusehen, wie alles vor die Hunde geht, das ist doch wie ein Selbstmord auf Raten! Ich kann das nicht mehr! Wir müssen sofort etwas dagegen tun! Du hast mir selbst früher immer gesagt, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt.“
    „Diesmal ist es nicht der Fall, wie es aussieht“, erwiderte die Großmagierin leise. „Ausnahmen bestätigen die Regeln.“
    „Du bist doch die mächtigste und älteste Großmagierin der Oberwelt! Du weißt, was los ist. Wenn du nichts tun willst, dann erklär mir, was Sache ist. Sag mir, wie man es wieder gutmachen kann, ich tue es dann!“
    Die Großmagierin öffnete leicht die Augen, ihr Kopf immer noch auf den Kissen, und lächelte kaum merklich. „Meine Liebe, mittlerweile kannst du alles, was ich kann … Fast alles.“ Sie versuchte, ihren Kopf hochzuheben. Es gelang ihr nicht. „Du warst ein fleißiges Mädchen, du hast vieles von mir gelernt. Bloß das wird dir nicht reichen, um gegen eine übermächtige Herrschaft zu bestehen. Diese …“, sie schnappte nach Luft und hustete krampfhaft und ausgiebig. Als sie wieder gleichmäßig atmen konnte, fuhr sie fort, ihre Stimme mit jedem Wort schwächer: „ … setzt das magische Wissen der Ober- und Unterwelt für ihre eigenen Zwecke seit geraumer Zeit sehr erfolgreich ein. Das Ergebnis hast du gesehen.“ Sie seufzte und flüsterte kaum hörbar: „Und jetzt bin ich müde. Unendlich müde. Das Einzige, was ich jetzt gerne hätte, ist meine Ruhe.“ Ihre Augen fielen zu, der Kopf neigte sich zur Seite.
    „Ach, das sind doch alles nur Ausreden! Das hilft doch überhaupt nicht weiter!“ Anna rannte zur Tür hinaus, warf sie mit einem Knall hinter sich zu und schoss die Treppe hoch in ihr Zimmer.
    Oben angekommen, ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. In heißen Rinnsalen liefen sie über ihre Wangen und tropften herunter auf die Tagesdecke. Schließlich setzte sie sich auf, wischte das Gesicht mit dem Handrücken ab und atmete tief durch. Den kleinen Drachen stellte sie auf den Nachttisch und sprach zu ihm: „Was ist bloß an dir? Wohin wollten dich die Biester bringen? Was für eine Herrscherin will dich angeblich haben? Und wieso meinte Oma, ich solle dich zurückgeben?“
    Die Figur starrte vor sich hin und schwieg.
    Der Blick der jungen Frau streifte über seine gewölbte Brust, den stolz nach hinten gebeugten Kopf, die kräftigen Tatzen, die fest auf der glatten Holzoberfläche standen. Sie streichelte ihn mit dem Finger leicht über den Rücken. „Es wäre so einfach, wenn du mit mir reden könntest“, seufzte sie. „Aber ich komme trotzdem dahinter, koste es, was es wolle. Ich muss nur herausfinden, was an dir so Geheimnisvolles ist. Aber jetzt muss ich versuchen, zur Ruhe zu kommen, zumindest ein wenig.“
     
    Seltsame Dinge sah Anna in dieser Nacht. Schwaden dichten Nebels stiegen von der dunkelbraunen Wasseroberfläche empor. Sie wanderte mitten im Großen Sumpf und versank mit jedem Schritt weiter in seinen Untiefen. Vergeblich versuchte sie zu dem Pfad zurückzukehren, der sie nach Hause bringen würde. Überall war nur das trübe, nach Schwefel und Verwesung riechende Wasser, das sie unabwendbar immer weiter in Beschlag nahm. Die Füße wurden taub vor Kälte und weigerten sich ihr zu gehorchen, als würde eine eklige Kreatur mit schwammigen Tentakeln ihre Beine an den Knöcheln umklammern und sie langsam nach unten ziehen. Noch ein paar Schritte und Anna konnte sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Sie versuchte erst das eine, dann das andere Bein hochzuziehen.
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