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Anmutig älter werden (German Edition)

Anmutig älter werden (German Edition)

Titel: Anmutig älter werden (German Edition)
Autoren: Ruth Maria Kubitschek
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und Armut, Schönheit und unvorstellbare Hässlichkeit. Die großen Pfründe Indiens sind das Wissen, das ihre Kultur über Jahrtausende bewahrt hat, und der Glaube der Menschen an die Macht der Götter.
    Ich war auf einer Hochebene angekommen und fuhr an großen blühenden Bougainvillea vorbei mit Tausenden lilafarbenen Blüten. Und schon sah ich den riesigen Tempel mit seinen Hunderten von Kuppeln. Ich musste die Schuhe ausziehen und viele Treppen hochsteigen. Als ich den Tempel betrat, blieb ich atemlos stehen. Ein goldenes Licht, das von vier Himmelsrichtungen in den Tempel strömte, empfing mich. Mein Blick blieb an der Vielzahl der reich geschnitzten Marmorsäulen hängen. Ich konnte es nicht glauben, immer wieder ein Wald von Säulen, die in einer reich verzierten Kuppel endeten. Ich staunte, dass so etwas Graziöses aus Marmor überhaupt herzustellen ist.
    Ich war in Weiß gekleidet und hatte einen weißen Turban um meine Haare gebunden. Da kam ein Herr mit einem roten Lendenschurz und einem gelben Schultertuch auf mich zu. Er stellte sich vor: »Ich bin hier der Oberpriester und Sie sind keine gewöhnliche Touristin.«
    Stolz zeigte er mir nach dieser Begrüßung diesen wunderbaren Tempel. Ich hatte das Gefühl, als ob ihm das alles gehörte. Er führte mich zu einer besonderen Säule, in welcher der Kopf eines Mannes als Relief eingearbeitet war. »Hier sehen Sie einen meiner Vorfahren, wir sind seit vierhundert Jahren die Priester in diesem Tempel.«
    Dann schloss er eine schwere alte Holztür auf, die zu einem Raum führte, in dem eine riesige Buddhastatue stand.
    »Dies ist unser Heiligtum. Ich erlaube Ihnen, hier allein zu beten.«
    Nun saß ich vor diesem beeindruckenden Buddha und war aus vollem Herzen dankbar. Ich bat um Erkenntnis, um Führung, um vielleicht eines Tages einem Meister wie Buddha zu begegnen. Dies war mein sehnlichster Wunsch. Unser Leben ist eigentlich ein langer Pilgerweg, auf dem eine Begleitung gerade beim Älterwerden äußerst hilfreich wäre. Leider muss ich immer wieder feststellen, dass man allein gehen muss, allein entscheiden muss – aber dann wird einem geholfen, aus irgendeiner Ecke, die man überhaupt nicht für möglich gehalten hat.
    Nach einer langen Weile holte er mich wieder ab, verschloss die schwere Holztür und ging mit mir in eine geschützte Ecke, wo ein kleinerer Buddha stand. Er schaute mich an und fragte, ob ich mit ihm meditieren wollte. Natürlich sagte ich Ja.
    Er sah gut aus, hatte einen edlen Kopf, dunkles, dichtes, kurz geschnittenes Haar und leuchtende braune Augen. Seine Hautfarbe war wie Gold. Er hatte einen dunklen, kleinen gepflegten Bart und das gelbe Tuch gab eine behaarte männliche Brust frei.
    Dieser gut aussehende Mann sang das »OM« mit einer wohlklingenden Stimme, die seinen ganzen Körper wie ein Instrument erklingen ließ. Ich verstand seine Worte nicht, aber ich fühlte Wärme und Geborgenheit und den Strom einer lichtvollen Energie, die durch mein ganzes Sein strömte. Noch nie in meinem Leben hatte ich Derartiges gespürt.
    »Ist das Gott?«, fragte ich mich. »Ist das seine Liebe, die mich berührt?« Ich wünschte, diese Gebete mögen nie aufhören, diese Energie möge mich nie wieder verlassen.
    Die Augen des Priesters waren mit einem Ausdruck unpersönlicher Liebe auf mich gerichtet. Er beendete das Gebet mit dem Urton »OM«. Dann nahm er meine Hand und liebevoll sagte er: »Alles ist gut, so wie es ist. Wenn du nichts festhältst, alles loslässt, was dich belastet, wirst du das wirkliche Leben spüren.«

    »Traumhotel«. Ich stehe, indisch verkleidet, auf dem Lake Palace mitten im Wasser. Im Hintergrund der Maharadscha-Palast.
    Anschließend führte er mich zu einer silbernen Statue, die zum Dekorieren am Boden des Tempels lag und von mehreren jungen Leuten mit Blumen geschmückt wurde. »Das sind Kunststudenten aus Mumbai«, erklärte er, »die diese Statue des Buddha jeden Tag neu schmücken.« Er sah mir tief in die Augen: »Wenn du Gott schmückst, schmückt er dich.«
    Zum Abschied schenkte er mir mit einer leichten Verbeugung eine Rose: »Für deine Ausstrahlung.«

    Die glückliche Großmutter mit ihrer Enkelin Helena.
    Glückselig verließ ich diesen Tempel der Schönheit und des Friedens. Tagelang fühlte ich mich wie erhoben. Dieser Satz »Wenn du Gott schmückst, schmückt er dich« hieß doch letztendlich »Wenn du das Leben schmückst, schmückt es dich.«
    Ich saß abends in meinem Zimmer und blickte in der
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