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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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dass die meisten von uns einfach weiter gruben oder das Spinnrad drehten und den Kopf gesenkt hielten. Aber es gab auch Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit. Ein paar abtrünnige Autoren der Zeit sahen deutlich, was vor sich ging. Blake war natürlich ein früher Kritiker der »cogs tyrannic«, der tyrannischen Zahnräder, und später veröffentlichte Paul Lafargue, Karl Marx’ französischer Schwiegersohn, eine Streitschrift mit dem Titel »Le droit à la paresse« (1883), in der er das Evangelium der Arbeit in prachtvollem, visionärem Stil widerlegte:
    Eine seltsame Sucht beherrscht die arbeitenden Klassen aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation ihre Macht ausübt. Diese Sucht hat die individuellen und gesellschaftlichen Nöte zur Folge, welche die traurige Menschheit schon seit zwei Jahrhunderten quälen. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende Leidenschaft zu arbeiten, die bis zur Erschöpfung der Lebenskraft des Einzelnen und seiner Nachkommenschaft getrieben wird. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, Ökonomen und Moralisten die Arbeit mit einem Heiligenschein versehen. Blinde und beschränkte Menschen, die sie sind, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und nichtswürdige Menschen, die sie sind, haben sie sich erlaubt, wieder zu Ehren zu bringen, was ihr Gott verworfen hatte ... Unser Zeitalter ist das Jahrhundert der Arbeit genannt worden. In Wahrheit ist es das Jahrhundert des Schmerzes, des Elends und der Verderbnis.
    Unter denen, deren Leben sie zerstörte, gab es damals auch eine verbreitete Volksbewegung gegen die neue protestantische Arbeitsmoral. Die Ludditen, die in unseren Schulen routinemäßig als hirnlose Trottel und übergeschnappte Feinde des Fortschritts karikiert werden, zerschlugen zwischen 1811 und 1813 in Wahrheit deswegen die Maschinen, weil sie zu Recht vorhersahen, dass sie ihre althergekommene Lebensweise zerstören und Männern und Frauen ihre Unabhängigkeit nehmen würden. E. P. Thompson listet weitere Revolten auf: »1817 der Pentridge-Aufstand; 1819 Peterloo; das ganze folgende Jahrzehnt die Ausweitung von Gewerkschaftsaktivitäten, die Propaganda der Oweniten, der Radikale Journalismus, die Zehn-Stunden-Bewegung, die revolutionäre Krise von 1831/32 und außerdem die Masse der Bewegungen, aus denen sich der Chartismus zusammensetzte.« Aber Fortschritt, Dampf und Fabrik trugen den Sieg davon. Arbeit und Leben wurden voneinander getrennt; der fröhliche Bauernbursche wurde zu einem unterdrückten Sklaven.
    Wenn man auf die Scheußlichkeiten zurückblickt, die den Menschen im Viktorianischen Zeitalter zugemutet wurden, ist man allzu schnell dankbar für die kleinen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die die Gewerkschaften in den letzten 100 Jahren allen Widrigkeiten zum Trotz durchgesetzt haben. Es ist für uns auch einfach, über die Naivität der breiten Masse unter dem Druck methodistischer Doktrinen zu staunen. Wie konnten die Leute darauf reinfallen, fragen wir uns.
    Doch sind wir heute wirklich so frei? Wie die Wissenschaftlerin Juliet Schor in The Overworked American (1991) darlegt, sehen die Dinge nur gut aus, wenn man sie mit vergangenen Zeiten vergleicht:
    Die Behauptung, der Kapitalismus habe uns von übermäßiger Arbeit befreit, kann nur aufrechterhalten werden, wenn wir als Vergleichspunkt das Europa und Amerika des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts nehmen – eine Epoche, die wahrscheinlich die längsten und beschwerlichsten Arbeitszeiten in der Geschichte der Menschheit erlebt hat.
    Und heute gibt es neue Feinde des Müßiggangs. Hunger und Gott sind im Konsumzeitalter durch Besitz und Status ersetzt worden. Die Werbeindustrie will uns glauben machen, dass das Leben durch den Kauf von Waren verbessert wird. Zum Kauf einer Ware ist Geld nötig. Geld erfordert harte Arbeit. Oder Schulden. Wir machen Schulden, um unsere Wünsche zu erfüllen, und dann arbeiten wir in einem fort, um die Schulden zu bezahlen. Das ist die moderne Form von Vertragsarbeit. In Nickel and Dimed enthüllt Barbara Ehrenreich, dass viele ihrer Kolleginnen in Restaurants und Reinigungsfirmen zwei Jobs haben, um die Raten für – zum Beispiel – einen 4000 Dollar teuren Jeep aufbringen zu können.
    Der Kapitalismus hat den Job zu einer Religion gemacht, tragischerweise aber auch der Sozialismus. Die Linken sind mit dem sozialistischen Traum von der »Vollbeschäftigung« einer Gehirnwäsche unterzogen
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