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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang
Autoren: Tom Hodgkinson
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Bereichen der Fertigungsindustrie war die Arbeitseinteilung so vielgestaltig und uneinheitlich, dass es falsch ist, eine scharfe Unterscheidung zwischen »Arbeit« und »Muße« zu machen. Auf der einen Seite wurden das ganze Jahr hindurch gesellschaftliche Anlässe mit der Arbeit vermischt – beim Marktgang, der Schafschur und Ernte, dem Abholen und Abliefern der Arbeitsmaterialien usw. Auf der anderen Seite wurde enormes emotionales Kapital investiert, nicht stückweise in einer Folge von Samstagabenden und Sonntagmorgen, sondern aus Anlass der besonderen kirchlichen Feste und Festtage. Viele Wochen schwerer Arbeit und knapper Ernährung wurden durch die Vorfreude auf diese Anlässe (oder die Erinnerung daran) belohnt, wenn jede Art geselligen Umgangs blühte und die Entbehrungen des Lebens vergessen waren. Für die jungen Leute nahm der sexuelle Kreislauf des Jahres auf diesen Festen eine Wende.
    Die Entwicklung des Urlaubs ist von jeher von den Regierenden mit Argwohn betrachtet worden, die fürchten, der Plebs werde seine Freizeit beim Saufen »vergeuden«, statt sich zu bilden oder Propaganda zu absorbieren. Die Bankfeiertage des ausgehenden neunzehnten und der bezahlte Urlaub des zwanzigsten Jahrhunderts unterschieden sich in einem wichtigen Punkt von den alten, vorindustriellen weltlichen und kirchlichen Feiertagen – sie wurden von oben kontrolliert. Wenn die Regierung Gesetze für die Muße erlassen konnte, dann war die Vorstellung spielender Proleten für die soziale Ordnung gleich weniger bedrohlich. Cromwell verbot das Vergnügen; die erste Tat Karls II. in der Restauration war, die Festtage wiederherzustellen, die von den wohlmeinenden Republikanern gestrichen worden waren. Daniel Defoe zählte in den fünf Jahren nach der Restauration 6325 Maibäume. Dieses Geschenk zusätzlicher Freizeit war eine außerordentlich liberale Tat des leichtlebigen Monarchen, vor allem wenn man bedenkt, dass freie Tage, insbesondere selbst geschaffene kirchliche oder Sauffeiertage wie der 1. Mai, immer als Brutstätten des Aufruhrs galten.
    »Der internationale Tag der Arbeit und der amerikanische Labor Day: Ein FEIERTAG als Ausdruck der Befreiung der Arbeiterklasse kontra einen FEIERTAG, der die Fesseln der Arbeit verherrlicht« ist der Titel eines amerikanischen sozialistischen Flugblatts von um 1913, das den natürlichen, organischen, vom Volk geschaffenen Maifeiertag mit dem von Staats wegen gebilligten amerikanischen Labor Day vergleicht, den die Regierung 1883 einführte. In der visionären Prosa sozialistischer Texte der Zeit interpretiert der Autor den Labor Day als ein autoritäres Zuckerstückchen, das dazu da sei, die kapitalistische bittere Pille leichter zu schlucken. Der Maifeiertag auf der anderen Seite ist ein echtes, weltweites Fest der Freiheit. Zweck des Maifeiertags ist es,
    der Welt zu zeigen, dass … [die Arbeiter] allesamt Mitglieder derselben Klasse sind, des Proletariats – der besitzlosen, lohnabhängigen Klasse … der Kapitalistenklasse zum Trotz… wenn Polizei und Kosaken verschiedener Länder am Maifeiertag auf der Bildfläche erscheinen, geht es immer nur darum, arbeitende Menschen zu knüppeln, zu Krüppeln zu schlagen, zu verhaften und zu töten; denn Polizei und Kosaken erkennen, dass der Maifeiertag der Übungstag für die sozialistische Revolution ist.
    Man könnte denken, dass sich heute wenig geändert hat: Proteste gegen den Weltkapitalismus finden am 1. Mai auf der ganzen Erde statt und werden regelmäßig mit Gewalt niedergeknüppelt. Der Autor Boris Reinstein schreibt, dass im Vergleich dazu der amerikanische Labor Day nur eine Art Bonbon für die Arbeiter ist:
    Der amerikanische Labor Day war im Gegenteil ein »Geschenk«, das die Arbeiter von ihren Herren erhielten … Von einem Vampir, wenn er sich auf den Körper eines Schlafenden niederlässt und ihm sein Blut aussaugt, weiß man, dass er das Opfer mit seinen Flügeln fächelt, um dessen Schmerz zu lindern und es daran zu hindern aufzuwachen und den Vampir zu vertreiben. So wurde der Labor Day von den politischen Bevollmächtigten der amerikanischen Kapitalisten ins Leben gerufen, um den schlafenden Riesen, die amerikanische Arbeiterklasse, zu fächeln, während die Kapitalisten ihm das Blut aussaugen … an diesem Tag werden ihm die Ketten der Lohnsklaverei, bildlich gesprochen, abgenommen; er wird zum Helden des Tages erklärt; seine Herren, die Kapitalisten, stehen vor ihm in gespielter Ergebenheit; deren Wortführer
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