Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angst

Angst

Titel: Angst
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
Jedenfalls niemand, der so etwas tun würde.«
    »Irgendeinen reichen Investor, einen Russen vielleicht, der etwas Geld verloren hat?«
    »Wir verlieren kein Geld.« Dennoch ging Hoffmann im Stillen seine Kundenliste nach jemand durch, der vielleicht doch in den Einbruch verwickelt sein könnte. Nein, das war unvorstellbar. »Glauben Sie, wir sind hier im Haus sicher, solange sich dieser Verrückte da draußen rumtreibt?«
    »Den Tag über sind unsere Leute sowieso noch hier, und heute Nacht behalten wir das Grundstück im Auge. Vielleicht postieren wir draußen auf der Straße einen Wagen. Allerdings muss ich sagen, dass es Personen in Ihrer Stellung gewöhnlich vorziehen, eigene Vorkehrungen zu treffen.«
    »Sie meinen, Bodyguards anheuern?« Hoffmann verzog das Gesicht. »Ich will so nicht leben.«
    »Unglücklicherweise wird ein Haus wie dieses immer ungebetene Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und Banker sind zurzeit nicht gerade beliebt, selbst in der Schweiz nicht.« Leclerc schaute sich wieder im Zimmer um. »Darf ich fragen, wie viel Sie für das Haus bezahlt haben?«
    Normalerweise hätte Hoffmann geantwortet, dass ihn das einen Scheiß angehe, aber dazu hatte er jetzt nicht die Kraft. »Sechzig Millionen Dollar.«
    »Meine Güte!« Leclerc verzog gequält die Lippen. »Tja, ich kann es mir nicht mehr leisten, in Genf zu leben. Meine Frau und ich sind nach Frankreich gezogen, in ein Haus gleich hinter der Grenze. Ist billiger. Allerdings muss ich jetzt jeden Tag nach Genf reinfahren. Was soll man machen.«
    Von draußen waren die Geräusche eines Dieselmotors zu hören. Gabrielle steckte den Kopf zur Tür herein. »Der Krankenwagen ist da. Ich gehe hoch und hole dir ein paar Sachen zum Anziehen.«
    Hoffmann versuchte aufzustehen. Leclerc wollte ihm helfen, aber Hoffmann winkte ihn weg. Schweizer, dachte er säuerlich. Tun so, als wären wir Ausländer willkommen, aber eigentlich stecken sie voller Ressentiments. Was geht das mich an, dass er in Frankreich lebt? Er musste ein paarmal vor und zurück wippen, bis er genügend Schwung hatte, um aus dem Sofa hochzukommen. Beim dritten Mal schaffte er es und stand schwankend auf dem Aubussonteppich. Von dem Getöse in seinem Kopf wurde ihm wieder schlecht.
    »Ich hoffe, dieser unangenehme Zwischenfall verleidet Ihnen nicht unser schönes Land«, sagte Leclerc.
    Hoffmann fragte sich, ob das als Witz gemeint war, aber das Gesicht des Inspektors sah vollkommen aufrichtig aus.
    »Aber nein. Keineswegs.«
    Sie gingen zusammen in den Flur. Hoffmann achtete übervorsichtig auf jeden seiner Schritte, wie ein Betrunkener, der nüchtern wirken wollte. Im Haus liefen jetzt jede Menge Leute von irgendwelchen Bereitschaftsdiensten her um. Es waren noch mehr Gendarmen eingetroffen. Zwei Sanitäter, ein Mann und eine Frau, schoben eine Trage ins Haus. In Gegenwart der bedeutungsschweren offiziellen Uniformen fühlte sich Hoffmann wieder nackt, verletzlich und hinfällig. Er war erleichtert, als er Gabrielle mit seinem Regenmantel die Treppe herunterkommen sah. Leclerc nahm ihr den Mantel ab und legte ihn Hoffmann um die Schultern.
    Hoffmann bemerkte den Feuerlöscher, der in einen Plastikbeutel verpackt neben der Haustür stand. Der bloße Anblick genügte, dass er wieder einen stechenden Schmerz spürte. »Lassen Sie ein Phantombild von dem Mann anfertigen?«, fragte er Leclerc.
    »Vielleicht.«
    »Ich glaube, dann sollte ich Ihnen noch etwas zeigen.« Der Gedanke war ihm ganz plötzlich gekommen, wie eine Offenbarung. Er ignorierte die Einwände der Sanitäter, die darauf drangen, dass er sich auf die Trage legte, drehte sich um und ging durch den Flur zu seinem Arbeitszimmer. Das Bloomberg-Terminal auf seinem Schreibtisch war immer noch eingeschaltet. Aus den Augenwinkeln registrierte er das rote Leuchten. Fast alle Kurse waren gefallen. Die Märkte in Fernost erlitten anscheinend starke Verluste. Er schaltete das Licht ein, ging zum Bücherregal und nahm The Expression of the Emotions in Man and Animals heraus. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Er blätterte durch die Seiten.
    »Hier ist es«, sagte er, drehte sich um und präsentierte Leclerc und Gabrielle seinen Fund. Er klopfte mit dem Finger auf die Seite. »Das ist der Mann, der mich überfallen hat.«
    Es war die bildliche Darstellung der Emotion des Entsetzens – ein alter Mann, die Augen aufgerissen, der zahnlose Mund weit offen. Der große französische Arzt Guillaume-Benjamin Duchenne, ein Experte auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher