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Angst

Angst

Titel: Angst
Autoren: Robert Harris
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sagte: »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Er trat auf ihn zu und streckte die Hand aus. »Inspektor Jean-Philippe Leclerc, Polizei Genf.«
    Einer der Sanitäter nahm Hoffmanns anderen Arm, und zusammen mit dem Inspektor zog er Hoffmann in die Höhe. An der Stelle, wo sein Kopf an der cremefarbenen Wand gelehnt hatte, blieb ein federartiger Blutfleck zurück. Auf dem Boden war noch mehr Blut – in schmierigen Streifen, als ob jemand darin ausgerutscht wäre. Hoffmanns Knie knickten ein. »Ich habe Sie«, versicherte ihm Leclerc. »Tief durchatmen. Lassen Sie sich Zeit.«
    »Er muss ins Krankenhaus«, sagte Gabrielle besorgt.
    »Der Krankenwagen ist in zehn Minuten da«, sagte der Sanitäter. »Er wurde aufgehalten.«
    »Warum warten wir nicht da drin?«, schlug Leclerc vor. Er öffnete die Tür, die in den kühlen Salon führte.
    Hoffmann wollte sich nicht hinlegen. Nachdem er sich aufs Sofa gesetzt hatte, ging der Sanitäter in die Hocke und hielt seine Hand vor Hoffmanns Gesicht.
    »Wie viele Finger sehen Sie?«
    Hoffmann sagte: »Kann ich meine …?« Wie hieß das Wort? Er zeigte auf seine Augen.
    »Er braucht sein Brille«, sagte Gabrielle. »Hier, Liebling.« Sie schob ihm die Brille auf die Nase und küsste ihn auf die Stirn. »Immer schön langsam, okay?«
    »Können Sie jetzt meine Finger sehen?«, fragte der Sanitäter.
    Hoffmann zählte sorgfältig. Bevor er antwortete, fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. »Drei.«
    »Und jetzt?«
    »Vier.«
    »Wir müssen Ihren Blutdruck messen, Monsieur.«
    Hoffmann saß friedlich da, während man ihm den Pyjamaärmel hochkrempelte, die Plastikmanschette um den Bizeps legte und sie aufpumpte. Der Kopf des Stethoskops fühlte sich auf seiner Haut kalt an. Sein Gehirn schaltete Stufe um Stufe wieder in die Gegenwart zurück. Systematisch ging er die Einrichtung des Zimmers durch: die blassgelben Wände, die mit weißer Seide bezogenen Pols tersessel und Chaiselongues, der Bechstein-Stutzflügel, die leise tickende Louis-Quinze-Uhr auf dem Kaminsims, die dunklen Grautöne der Auerbach-Landschaft darüber. Vor ihm auf dem Couchtisch stand eines von Gabrielles frühen Selbstporträts: ein 50-mal-50-Zentimeter-Kubus, der sich aus hundert Mirogard-Glasplatten zusammensetzte, auf die sie mit schwarzer Tinte die Schichtbilder einer Kernspintomografie ihres eigenen Körpers nachgezeichnet hatte. Die Wirkung war die eines fremdartigen, verletzlichen, in der Luft schwebenden außerirdischen Wesens. Hoffmann schaute es an, als sähe er es zum ersten Mal. Und da war noch etwas, woran er sich eigentlich hätte erin nern müssen. Was war das? Es war eine neue Erfahrung für ihn, eine bestimmte Information nicht sofort abrufen zu können. Als der Sanitäter seine Arbeit beendet hatte, fragte er Gabrielle: »Hast du heute nicht noch etwas Besonderes vor?« Er legte die Stirn in Falten, während er angestrengt das Chaos seines Gedächtnisses durchforstete. »Ich weiß«, sagte er schließlich erleichtert. »Deine Ausstellung.«
    »Ja, aber die sage ich ab.«
    »Nein, kommt gar nicht infrage, nicht deine erste Ausstellung.«
    »Gut«, sagte Leclerc, der in einem der Sessel saß und Hoffmann beobachtete. »Das ist sehr gut.«
    Hoffmann drehte sich langsam um und schaute ihn an. Bei der Bewegung schoss ihm wieder ein krampfhafter Schmerz durch den Kopf. Er musterte Leclerc. »Gut?«
    »Es ist gut, dass Sie sich erinnern können.« Der Inspektor hob ermunternd den Daumen. »Was ist das Letzte von heute Nacht, woran Sie sich erinnern können?«
    Gabrielle unterbrach ihn. »Ich glaube, erst sollte sich ein Arzt Alex anschauen, bevor er irgendwelche Fragen beantwortet. Er braucht jetzt Ruhe.«
    »Das Letzte, woran ich mich erinnere?« Hoffmann dachte sorgfältig darüber nach, so als versuchte er, ein mathematisches Problem zu lösen. »Ich schätze, das war, als ich wieder ins Haus gegangen bin. Er muss hinter der Tür auf mich gewartet haben.«
    »Er? Es war nur ein einziger Mann?« Leclerc öffnete den Reißverschluss seiner Windjacke und kramte aus irgendeinem verborgenen Schlupfwinkel ein Notizbuch hervor, neigte sich in seinem Sessel etwas zur Seite und brachte noch einen Stift zum Vorschein. Dabei schaute er Hoffmann die ganze Zeit über aufmunternd an.
    »Soweit ich weiß, ja. Nur einer.« Hoffmann fasste sich an den Hinterkopf. Er ertastete einen stramm sit zenden Verband. »Womit hat er mich niedergeschlagen?«
    »So wie es aussieht, mit einem Feuerlöscher.«
    »Mein Gott. Wie
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