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Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)

Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)

Titel: Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
Autoren: Wilhelm Ruprecht Frieling
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sie dienstbeflissen mit der linken Hand Staub aufsaugt und mit der rechten das permanente Hungergefühl mit dick belegten Stullen besänftigt. Sie kennt ihren Appetit, kommt gut verpflegt mit einem nährstoffreichen Lunchpaket zum Dienst. Die hausfrauliche Einladung zu Kaffee und Kuchen verpasst sie nie. Die herzensgute Natur bringt gar Delikatessen aus der kalten Heimat gegen den großen Hunger mit: Schokolade in buntem Stanniol, liebevoll verpackte Sahnebonbons im Kuh-Design, frisch duftendes Rosinenbrot, herzhaft knackige Wurst.
     
    Vielleicht sucht die Kartoffel Mittäter für ihr eigenes Laster. Möglicherweise will sie sogar materiellen Ausgleich für gelegentliche Entgleisungen schaffen. Wer weiß. Denn so zielsicher das Kugelrund den Dreck aufspürt, so wenig entgehen ihren geschulten Augen begehrliche Süßigkeiten in Hülle und Fülle. Bunt im Haus verstreut harrt hier eine Schale mit Zuckerzeug auf der Anrichte, dort lockt ein Kranz aus Feingebäck. Frisch gebackener Kuchen hofft im Kühlschrank auf Erlösung. Mehrstöckige Etageren mit Schokoladenkugeln, Salzstangen und Knabberzeug erwarten froh Besucher. Mit Naschwerk gefüllte Teller stehen dekorativ auf Tisch und Tablett und rufen jedem, der vorbeigeht, ohne Ansehens der Person verführerisch zu: »Nimm mich, nimm mich, nimm mich mit!«
     
    Knubbelchen lässt sich ungern bitten und nimmt. Sie greift mal hier, schlingt dort ein Stück. Ist eine Schale bereits fast ausgeräumt, beseitigt sie geschwind den Rest und versenkt das nunmehr leere Geschirr dienstbeflissen in den Tiefen der Spülmaschine. Wer schafft, braucht Kraft! Das Zuckertier fühlt sich eingeladen und schlägt sich tapfer auf dem Schlachtfeld des großen Fressens. Naschwerk windet sich zwischen den Zähnen, als habe der weiße Hai das Buffet eröffnet. Süß macht sinnlich, sauer lustig, und salzig schafft die Voraussetzungen für den großen Durst. Im Garten Eden eines wohl sortierten Haushalts findet jedes Bedürfnis seine Erfüllung.
     
    Die dicken Flaschen mit den hochprozentigen Leckereien widerstehen dem Ansturm äußerlich unversehrt. Sie spielen Musik für die Kartoffel. Flötenklang von süßem Likör, Posaunenton von wildem Whisky und Trommelschlag vom klaren Wodka locken wie Oasen im Hitzefieber weiter Wüsten. Dieses Konzert ist unwiderstehlich. Kräuter, Cognac und Anis werden im Laufe der Zeit geschickt mit klarem Wasser ersetzt. So hält sich der Flüssigkeitspegel konstant, und der Schwund bleibt optisch verborgen. Vielleicht wären die edlen Tropfen ja sonst sogar elend verdunstet, mutmaßt die heimliche Zecherin und tut auf diese Weise manch gutes Werk.
     
    Heißhunger und Durst treiben oft seltsame Blüten. Eines schönen Vormittags räumt die Kartoffel einen Tiefkühlschrank im oberen Stockwerk des ihr zur Pflege anvertrauten Hauses auf. Sie entnimmt der kühlen Gruft gefrorene Hasenkeulen, eisige Putenschnitzel, Lammkeulen im Dauerfrost und eiskalte Kräuter. Die Fächer werden feucht ausgewischt, Kondenswasser und Eis entfernt, überlagerte Lebensmittel entsorgt. Das übrige Kühlgut landet nach dem Säuberungsakt wieder in seinem frostigen Bett und darf dort weiter starren. Saubere Arbeit!
     
    Eine im hintersten Winkel der Fächer verborgene Vorratsdose zieht das Augenmerk der Wirtschafterin an. Sie öffnet das Behältnis und stößt auf Kekse Marke Eigenbau. Rund und gut genährt sehen die im eisigen Schlummer liegenden Leckerbissen aus, und kleine dunkle Sprenkel lassen auf ausgesuchte Zutaten schließen. Doch der Dauerfrost hält sie fest im Griff.
     
    Tiefgefrorene Kekse sind, wie dem Unkundigen erschlossen werden sollte, kaum zum sofortigen Verzehr bestimmt. Sie sind knochenhart, eiskalt und ohne natürlichen Eigengeschmack. Der Eisschrank bewahrt sie für den Tag ihres Auftritts auf und konserviert die wertvollen Inhaltsstoffe. Sind es zudem besondere Kekse, sind diese möglicherweise mit phantastischen Substanzen präpariert, handelt es sich eventuell sogar um mit dem gewissen Etwas angereicherte Kekse aus dem liberalen Holland, dann ist vom Verzehr aufgrund nebulöser Nebenwirkungen streng abzuraten. Es könnten Killerkekse sein! Doch wie meinten schon jene alten Krieger, die sich in Gefangenschaft von Löwenzahn und Wiesenkräutern nährten: »Der Hunger treibt es rein.« – Nun, auch in Friedenszeiten gilt diese Weisheit, zumal wenn Zucker das Süßmaul lockt.
     
    »Hasch mich, hasch mich,« lockt es aus der Keksdose, und »ich mache dich frei …«
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