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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode
Autoren: Barbara Vinken
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sowieso ein bisschen zu rosig, das durch die an das Material gebundenen Assoziationen abstoßend wirkte. Statt zum Streicheln einzuladen, wurde man auf Distanz gehalten. In der Ambivalenz gefangen, wurde das geweckte Begehren genarrt.
    Ganz ähnlich die nackten Schultern, die hier nicht aus einem Abendkleid, sondern überraschend aus einem dicken petrolblauen Skipullover auftauchten und durch dieses Durchbrechen der Konvention viel zarter, viel provozierend nackter wirkten. Sie waren nur verhüllt von einem hauchdünnen, durchsichtigen, hautfarbenen Nylonstoff. Aber dieser war eine Nuance zu braun; außerdem sah man ihm bereits die Maschen und herausgezogenen Fäden an. Sofort musste jeder an die billig spießigen, ewig zu braunen Nylonstrümpfe denken, die nicht wie eine verführerische zweite Haut wirkten, sondern allenfalls Sonnenbräune aus dem Studio vortäuschen sollten.
    Der erotische Schock wurde also in früheren Kollektionen Margielas durch Materialien pariert, die sich zum einen wirklich unangenehm anfühlen – Nylon – und zum anderen unangenehme Erinnerungen wachrufen: falsche Klasse, falsche Situation, falscher Anspruch. Das Nackte der neuen Kollektionen evoziert hingegen nicht mehr das Abstoßende historischer Materialien, sondern das medizinische, sanitätshausartige Imitat des nackten Fleisches. Dabei greift es durchaus auch auf historischeModelle von Fleischimitaten zurück, am offensichtlichsten auf die Venuspuppen, die man öffnen kann. 130 Das hat mit dem, was in der Mode üblicherweise nu , poudre , chair heißt, wenig zu tun. Denn während dort die sinnlich reizvollen Qualitäten des Fleisches – seine seidige Geschmeidigkeit, sein samtiger Glanz, sein warmes Leuchten – in Samt oder Seide imitiert werden, ist hier die medizinisch-klinische Konnotation unabweisbar.
    »Eine minimalistischere, zugeschnittenere Weiblichkeit ist manchmal scharf.« Dieses »scharf« meint zum einen natürlich elegant und sexy, aber eben auch die Schärfe beispielsweise eines Messers, das nicht in Stoffe, sondern in Fleisch schneidet. Sexy ist diese Kollektion auf den ersten Blick: Der Körper der Mannequins zeichnet sich in bandförmigen, superkurzen Röcken und bandeau-artigen Oberteilen, die nur den Busen bedecken und Bauch und Dekolleté freilassen, deutlich ab; sie scheinen nur angezogen, um abgestreift zu werden. Hotpants lassen das Geschlecht aufblitzen. Die hohen Stiefelschafte legen einen schmalen Streifen des Oberschenkels bloß. Aggressive Lolita-Sexyness liegt in der Luft. Sie wird durch den Jersey, der den Körper wie einen Strumpf überzieht, ohne ihn zu formen, unterstützt. Jedoch beginnt die Entsemantisierung des Körpers als ein erotischer und seine Aufladung als ein der Klinik ausgesetzter Körper im »Plastischen« dieser Kollektion, die den Körper tatsächlich zu einem tranchierten, einem scharf in Scheiben geschnittenen macht. »Der Körper«, sagt das Pressestatement, »wirkt durch horizontal geschnittene Stoffbahnen in Konstrastfarben neu proportioniert.« Das ist in einem ganz wörtlichen, sinistren Sinne wahr. Das Maison Martin Margiela scheint ins lebendige Fleisch zu schneiden. Die Arme, die Beine, die Füße, selbst der Kopf werden in dieses Tranchieren einbezogen. Erreicht wird so eine massive Entstaltung, die es nicht mehr erlaubt, den Körper als geschlossene Figur wahrzunehmen. Klinische Elemente wie Armbinden oder Bandagen, die nicht zum traditionellen Vokabular der Kleidung gehören, ergänzendiese horizontalen Akzente. Unterstrichen wird dieses horizontale Zerschneiden, das den Kopf einbezieht, durch die Brille, die den in die Mannequingesichter hineingedruckten dunklen Streifen über den Augen jetzt real werden lässt. Die Kontrastfarbe zu den schwarzen und weißen Streifen sind fleischfarbene Töne, die den Körper nackt erscheinen lassen. Die Dreidimensionalität des Körpers wird in der Fläche auf eine Zweidimensionalität gebracht, die von horizontalen und vertikalen Linien bestimmt ist. Die berückenden Kurven, die von der Venus Tizians bis zu Anita Ekberg in der Fontana da Trevi den erotischen Körper bestimmen, werden in Flächigkeit aufgelöst. Das Zerschnittene des Körpers wird durch die tatsächlich zerschnittenen Kleider betont, denen als »white frontless knit skirt« die Vorderseite einfach fehlt: Während der Rock vorne die Oberschenkel bloßlegt, geht er hinten bis zur Mitte der Waden. So etwas gibt es bei OP-Kitteln der zu operierenden Patienten.
    Die
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