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Anemonen im Wind - Roman

Anemonen im Wind - Roman

Titel: Anemonen im Wind - Roman
Autoren: Tamara McKinley
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neunundzwanzig hat Dad seinen Job und das Haus verloren. Wir haben dann zwei Jahre in der Domain gewohnt und waren fast neun Monate auf Wanderschaft.«
    Die Jungen nickten, als verständen sie, wovon sie redete – als hätten sie ganz ähnliche Erfahrungen. Ermutigt redete Ellie weiter. »Dad war Buchhalter. Hatte keine Ahnung, was es bedeutet, hier draußen im Outback zu leben, aber er hat’s ziemlich schnell gelernt. Wir beide.« Sie starrte in die Flammen und dachte an den langen Treck nach Norden. »Es war nicht leicht, Arbeit zu finden, zumal mit einem Kind im Schlepptau«, sagte sie verbittert und verstummte dann.
    »Und was ist passiert?«, drängte Joe.
    Ellie starrte ins Feuer. Als sie in Charleville angekommen waren, hatte sie erkannt, dass sie etwas tun musste, um zu helfen. Wenn sie ein Junge gewesen wäre, hätte man sie auf den Schaf- und Rinderfarmen vielleicht bereitwilliger aufgenommen. Also hatte sie sich das Haar kurz geschnitten und die Haltung und den Gang der Jungen aus der Domain angenommen, und dann hatte sie Dad nur noch überreden müssen, sie als Ed zu akzeptieren. Damit hatten bessere Zeiten angefangen. »Ich und Dad haben einen Job auf der Farm Gowrie gekriegt. Ich habe beim Koch gearbeitet; Wang Lee hieß er. Und Dad war bei den Pferden.«
    »Wir kennen die Farm«, sagte Charlie eifrig. »Der Vormann der Viehtreiber ist ein Kumpel von uns. Snowy White. Netter Kerl für einen Aborigine. Erzählt tolle Geschichten.«
    Ellie grinste. »Bessere gibt’s nicht«, sagte sie zustimmend. »Wang Lee war in Ordnung, wenn man sich erst mal mit seiner schlechten Laune abgefunden hatte. Auch ein guter Kerl.« Sie wühlte in ihrer Tasche nach dem zierlichen kleinen Spiegel. »Am Ende des Trecks hat er mir den geschenkt. Hat mir das Leben gerettet.«
    »Komisches Geschenk für ’n Kerl«, knurrte Charlie, als er den vergoldeten, mit leuchtend bunten Steinen gefassten Spiegel betrachtete.
    Ellie steckte den Spiegel wieder ein. Es war ein Fehler gewesen, ihnen dieses Mädchengeschenk zu zeigen. Hastig erzählte sie, wie dieser Spiegel sie vor dem sicheren Tod bewahrt hatte; sie schmückte die Geschichte aus, zog sie in die Länge, ließ sie immer tollkühner und spannender werden – ganz so, wie die Männer es abends am Lagerfeuer zu tun pflegten. »Wang Lee hat mir dauernd Sachen geschenkt«, fuhr sie dann fort. »Bin auf dem Treck mal gestürzt und hab mir den Fuß verletzt; da hat er mir diesen Stock gemacht, damit ich besser laufen kann.« Sie zog das Geschenk aus der Satteltasche, und die kunstvollen Schnitzereien, die Hunde und Büffel darstellten, wurden pflichtschuldig bewundert.
    »Schätze, es wird Zeit, ein bisschen zu schlafen, Kumpel. Morgen geht’s früh los.« Charlie rollte seine Decke auseinander, rückte seinen Sattel bequemer zurecht und ließ sich nieder. Wenige Augenblicke später schnarchte er.
    Ellie schaute Joe an und lächelte. Er hatte etwas Stilles an sich, das sie von sich selbst auch kannte – als fühle er sich wohlin seiner Umgebung und in dem Leben, das er führte. »Hab ihn wohl müde geredet«, sagte sie leise. »Auf dem Treck haben die Jungs immer gesagt, ich soll mal den Mund halten, aber das kann ich ja nicht, wenn ich alles lernen will.«
    Joe lächelte, und seine Augen leuchteten wie dunkle Smaragde im Licht der ersterbenden Flammen. » Alles ist aber eine Menge, wenn du es in ein paar Monaten lernen willst«, sagte er. »Schätze, das schaffst du noch früh genug.«
    Der Morgen dämmerte, als sie aufwachten. Die Asche war kalt, und die Kälte des Outback-Winters lag noch immer wie glitzernder Reif auf der roten Erde. Joe drehte sich unter der Decke um und genoss den letzten Rest Wärme, bevor er dem Tag ins Auge blicken musste. Er schaute zu, wie Ed das Feuer wieder in Gang brachte, den Blechkessel aufsetzte und sich um sein Pferd und sein Pony kümmerte. Der Kleine kannte sich im Camp offensichtlich aus. Trotzdem nagte ein bohrender Zweifel an Joe, und er runzelte die Stirn. Der Junge war blitzgescheit, das sah man an der Art, wie er überlebt hatte. Aber er sagte ihnen nicht die Wahrheit. Das stand fest. Und da war noch etwas anderes. Etwas weniger Greifbares, das Joe Unbehagen bereitete. Er fühlte sich zu dem Kleinen hingezogen, und es war ihm plötzlich wichtig geworden, ihn zu beschützen.
    Diese Gedanken machten ihn unruhig. Er warf die Wolldecke zurück und ging zu seinen Pferden. Wahrscheinlich erinnerten Eds Erfahrungen ihn an die eigene Kindheit.
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