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ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)

ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)

Titel: ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
Autoren: Hans Christian Andersen , H.C. Andersen
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bekam. Aber fast noch schöner war es, daß der Honigkuchenhändler Geschichten erzählen konnte, und zwar fast von einer jeden Sache, sogar von seinen Honigkuchen; ja, von diesen erzählte er eines Abends eine Geschichte, die einen gar tiefen Eindruck auf die beiden Kinder machte, so daß sie sie seither niemals wieder vergaßen, und deshalb ist es wohl das beste, wenn wir sie auch hören, besonders, da sie nur kurz ist.
     
    "Da lagen auf dem Tische zwei Honigkuchen," erzählte er, "der eine hatte die Gestalt eines Mannes mit einem Hut, der andere die einer Jungfrau ohne Hut, aber mit einem Streifchen Schaumgold auf dem Kopfe. Sie trugen das Gesicht auf der Seite, die nach oben lag, und von dort sollte man sie auch sehen und nicht von der Kehrseite aus, von wo man nie einen Menschen ansehen soll. Der Mann hatte eine bittere Mandel links, das war sein Herz, die Jungfrau dagegen war durch und durch aus Honigkuchen. Sie lagen als Proben auf dem Tische. Dort lagen sie lange, und so liebten sie sich; aber der eine sagte es nicht zum anderen, und das muß sein, wenn etwas daraus werden soll.
     
    "Er ist ein Mann, er muß das erste Wort sprechen!" dachte sie, aber sie wäre doch vergnügt gewesen, wenn sie nur gewußt hätte, ob ihre Liebe erwidert würde.
     
    Er trug sich mit begierigeren Gedanken, das tun ja die Mannsleute immer; er träumte, er sei ein lebendiger Straßenjunge, der vier Schillinge besäße, damit kaufte er die Jungfrau und verschlänge sie.
     
    Und sie lagen Tage und Wochen hindurch auf dem Tische; sie wurden trocken und der Jungfrau Gedanken wurden feiner und weiblicher: "Es ist mir genug, daß ich auf einem Tische mit ihm zusammen gelegen habe!" dachte sie und brach mitten durch. "Hätte sie von meiner Liebe gewußt, dann hätte sie wohl länger gehalten" dachte er. "Und das ist die Geschichte, und das sind die beiden" sagte der Kuchenhändler. "Sie sind bemerkenswert durch ihren Lebenslauf und ihre stumme Liebe, die niemals zu etwas führt. Seht, da habt Ihr sie!" und dann gab er Johanne den Mann, der noch ganz war, und Knud bekam die gebrochene Jungfrau; aber sie waren so benommen von der Geschichte, daß sie nicht daran denken konnten, das Liebespaar zu verspeisen.
     
    Am nächsten Tage gingen sie mit ihnen auf den Kirchhof, wo die Kirchenmauern mit dem herrlichsten Efeu besponnen waren, der Winter und Sommer wie ein reicher Teppich darüber hing. Sie stellten die Honigkuchen ins Grüne hinauf in den Sonnenschein und erzählten einer Schar anderer Kinder von der stummen Liebe, die zu nichts gut ist, das heißt die Liebe, denn die Geschichte fanden sie alle gar hübsch, und als sie nun auf das Honigpaar schauten, ja, da hatte ein großer Junge - aus Bosheit hatte er es getan, die gebrochene Jungfrau verspeist. Die Kinder weinten darüber und nachher - es geschah sicherlich nur, damit der arme Mann nicht so einsam auf der Welt bleiben sollte - verspeisten sie ihn auch, aber nie vergaßen sie die Geschichte. Immer waren die Kinder zusammen unter dem Holunderbusch oder unter dem Weidenbaum, und das kleine Mädchen sang mit silberglockenheller Stimme die lieblichsten Lieder. Knud war für die Musik verloren, aber er konnte die Worte, die zu den Liedern gehörten, und das ist immerhin etwas. - Die Leute in Kjöge, selbst die Eisenkrämerin, standen stille und hörten Johanne zu. "Sie hat doch ein süßes Stimmchen, die Kleine" sagte sie.
     
    Das waren schöne Tage, aber sie währten nicht ewig. Die Nachbarn mußten von einander scheiden. Des kleinen Mädchens Mutter war gestorben, der Vater wollte sich in Kopenhagen wieder verheiraten. Er konnte dort einen guten Broterwerb bekommen; er sollte als Bote angestellt werden und das war ein sehr einträgliches Amt. Die Nachbarn schieden unter Tränen, und besonders die Kinder weinten bitterlich; aber die Alten versprachen, einander zu schreiben, und zwar mindestens einmal im Jahre. Knud kam in die Schuhmacherlehre, die Eltern konnten ihn nicht länger gehen und die Zeit vergeuden lassen. Und so wurde er nun eingesegnet.
     
    O, wie gern wäre er an diesem Festtage nach Kopenhagen gekommen, um die kleine Johanne wiederzusehen; doch er kam nicht hin und war auch nie dort gewesen, obgleich es nur fünf Meilen von Kjöge entfernt liegt; aber die Türme hatte Knud bei klarem Wetter über die Bucht ragen sehen, und am Einsegungstage sah er deutlich das goldene Kreuz auf der Frauenkirche leuchten.
     
    Ach, wie oft dachte er an Johanne. Ob sie sich seiner
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