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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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vitaminreiches spezielles Katzenfutter, angereichert mit roher gehackter Leber, Hühnerklein und weiß Gott noch was. Allerdings, sagte sich Mr. Muir zerknirscht, habe ich seinerzeit kräftig mitgeholfen, sie zu verwöhnen.)
    Miranda fraß wie stets gierig, aber manierlich, ohne den Herrn des Hauses auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn Dankbarkeit an den Tag zu legen. Er hätte genausogut einer der Dienstboten oder ein beliebiger Fremder sein können. Wenn sie gemerkt hatte, daß etwas anders war als sonst - daß Mr. Muir ihr den Wassernapf weggenommen und nicht wieder hingestellt hatte zum Beispiel -, ließ sie es sich als echte Aristokratin nicht anmerken. Noch nie - weder bei Menschen noch bei Tieren - war ihm so viel Selbstgefälligkeit begegnet wie bei dieser weißen Perserkatze.
    Beim Anblick der sich systematisch vergiftenden Miranda überkam Mr. Muir nicht das erwartete Hochgefühl, ja, er empfand nicht einmal Genugtuung, daß ein Unrecht wiedergutgemacht worden, daß der Gerechtigkeit (wie vage auch immer) Genüge getan war, sondern fast so etwas wie schmerzliche Trauer. Daß dieses verwöhnte Geschöpf den Tod verdient hatte, stand für ihn außer Zweifel; denn begeht nicht eine Katze im Laufe ihres Lebens zahllose Grausamkeiten gegenüber Vögeln, Mäusen, Karnickeln? Doch fand er es betrüblich, daß er, Julius Muir, der so viel für sie gezahlt hatte und der so stolz auf sie gewesen war, nun wohl oder übel die Rolle des Vollstreckers übernehmen mußte. Dennoch - die Tat hatte zu geschehen, und auch wenn er womöglich vergessen hatte, warum sie zu geschehen hatte, so wußte er doch, daß sie ihm aufgetragen war, ihm ganz allein.
    Als sie neulich nach dem Abendessen mit ihren Gästen auf der Terrasse gesessen hatten, war weiß schimmernd Miranda aus dem Nichts aufgetaucht und auf der Gartenmauer entlangspaziert, den fedrigen Schwanz gereckt, eine seidige Halskrause um den hoch erhobenen Kopf, mit goldleuchtenden Augen. Wie aufs Stichwort, stellte Alissa fest. »Das ist Miranda. Komm und sag guten Abend. Ist sie nicht wunderschön?« (Denn Alissa wurde nie müde, sich über die Schönheit ihrer Katze auszulassen, eine harmlose Form von Narzißmus, sagte sich Mr. Muir.) Es gab die gewohnten Lobeshymnen oder Schmeicheleien. Die Katze, die natürlich ganz genau wußte, daß sie im Mittelpunkt stand, putzte sich, dann sprang sie mit raubtierhafter Grazie die steilen Steinstufen zum Flußufer hinunter, wo sie verschwand. In diesem Moment glaubte Mr. Muir zu begreifen, warum von dem Phänomen Miranda eine so beklemmende Faszination ausging: Sie verkörperte eine Schönheit, die zweckfrei und notwendig zugleich war, eine Schönheit, die (wenn man Mirandas Stammbaum bedachte) zur Gänze ein Kunstprodukt und dennoch (denn letztlich handelte es sich ja um ein Geschöpf aus Fleisch und Blut) völlig natürlich war. Natur pur.
    Nur - ist Natur immer und unter allen Umständen ... etwas Natürliches?
    Während die weiße Katze ihre Mahlzeit beendete (wobei sie wie üblich ein gutes Viertel ihres Futters unberührt im Napf ließ), sagte Mr. Muir laut und in einem Ton, in dem sich Kummer und Zufriedenheit mischten: »Aber das Schönsein rettet dich nicht.«
    Die Katze hielt inne und sah mit ihrem starren, ungerührten Blick zu ihm auf. Sekundenlang erschrak er: Wußte sie Bescheid? Wußte sie ... es schon? Sie hatte nie majestätischer ausgesehen, fand er, mit ihrem reinweißen, seidenweichen Fell, der wie frisch gebürsteten dichten Halskrause, dem schmollenden Mopsgesicht, den langen steifen Schnurrhaaren, den wachsam hochgestellten schönen Ohren. Und dann natürlich die Augen ...
    Schon immer hatten ihn Mirandas Augen fasziniert, diese bernsteingoldenen Augen, die sie scheinbar beliebig aufleuchten lassen konnte. Wenn man sie bei Nacht sah - vom Mond beschienen oder im Lichtkegel des Wagens, in dem die Muirs heimkamen -, strahlten sie wie kleine Scheinwerfer. »Was meinst du, ist das Miranda?« fragte dann Alissa, wenn sie den doppelten Lichtstrahl im hohen Gras am Straßenrand sah. »Kann schon sein«, antwortete Mr. Muir. »Sie wartet auf uns!« stieß dann Alissa in kindlicher Aufregung hervor. »Ist das nicht süß? Sie hat darauf gewartet, daß wir heimkommen.« Mr. Muir, der bezweifelte, daß die Katze ihre Abwesenheit überhaupt bemerkt, geschweige denn sehnsüchtig auf ihre Rückkehr gewartet hatte, äußerte sich dazu nicht.
    Dann gab es da noch einen Punkt, Mirandas Augen betreffend, über den
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