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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Sie hatte das Gift erbrochen, ja, so mußte es gewesen sein. Oder das Gift hatte nach einem kalten feuchten Winter im Gartenschuppen seine Wirkung verloren.
    Jetzt aber hieß es ganz schnell die Schiebetür entriegeln, um die weiße Katze einzulassen. Seine Stimme bebte vor Erregung: »Alissa! Eine gute Nachricht! Miranda ist wieder da.«
    Alissas Freude war so groß, seine eigene Erleichterung zunächst so aufrichtig, daß ihm, während er über den fedrigen Katzenschweif strich und Alissa ihre Miranda überschwenglich begrüßte, der Gedanke durch den Kopf ging, er habe grausam und selbstsüchtig und für ihn sehr untypisch gehandelt, so daß er beschloß, der Katze, die dem Tod von der Hand ihres Herrn entkommen war, das Leben zu schenken. Er würde es nicht ein zweites Mal versuchen.

    Ehe er mit sechsundvierzig Jahren geheiratet hatte, hatte Julius Muir - wie die meisten unverheirateten Männer und Frauen eines ganz bestimmten introvertierten und zurückhaltenden Typs, die eher passiv beobachtend denn als aktive Macher durchs Leben gehen -, die Ehe als etwas Bedingungsloses gesehen, hatte geglaubt, Mann und Frau seien in mehr als bildlichem Sinne ein Fleisch. Seine eigene Ehe allerdings war in diesem Sinne entschieden reduziert, der eheliche Verkehr war praktisch eingestellt, und es bestand wenig Aussicht auf eine Wiederaufnahme. Schließlich wurde er demnächst siebenundfünfzig (auch wenn er sich manchmal fragte: Ist das wirklich so alt?).
    In den ersten zwei, drei Ehejahren (als Alissas Stern am Theaterhimmel im Sinken war, wie sie zu sagen pflegte), hatten sie zusammen in einem Doppelbett geschlafen wie alle Ehepaare (Jedenfalls ging Mr. Muir davon aus, daß dies der Brauch war, denn für das Verständnis des Begriffs Ehe war die seine nicht sehr hilfreich). Immer öfter aber führte Alissa Klage darüber, daß sie wegen Mr. Muirs nächtlicher »Unruhe« - mit Zappeln, Treten, Fuchteln, gelegentlichem lauten Reden - nicht schlafen könne. Wenn sie ihn weckte, wußte er sekundenlang nicht, wo er war, entschuldigte sich dann ausgiebig und sehr geniert und begab sich zum Schlafen (wenn er denn schlafen konnte) in ein anderes Zimmer. Mr. Muir fand diese Situation zwar unbefriedigend, hatte aber für Alissa volles Verständnis: Die Ärmste hatte, sensibel wie sie war, seinetwegen gewiß manch schlaflose Nacht verbracht, ohne ihm davon ein Sterbenswort zu sagen. Typisch für sie, diese Rücksichtnahme; sie konnte einfach niemandem weh tun.
    Infolgedessen war es ihnen zur lieben Gewohnheit geworden, daß Mr. Muir zuerst ein halbes Stündchen bei seiner Frau verbrachte, wenn sie sich hingelegt hatte, und sich dann - auf Zehenspitzen, um sie nicht zu stören - in ein anderes Zimmer schlich, um dort ungestört zu schlafen (sofern das seine gelegentlichen Alpträume zuließen, von denen er die am meisten fürchtete, die ihn nicht weckten).
    In den letzten Jahren hatte das zu einer weiteren Konsequenz geführt. Alissa hatte es sich angewöhnt, noch lange wachzubleiben, im Bett zu lesen, fernzusehen oder gar zu telefonieren, so daß es Mr. Muir sinnvoll fand, sich nach einem zärtlichen Gutenachtkuß gleich in sein Zimmer zurückzuziehen. Manchmal meinte er im Schlaf, Alissa rufen zu hören; dann wachte er auf, lief auf den dunklen Gang hinaus, blieb ein, zwei Minuten erwartungsvoll vor ihrer Tür stehen und fragte flüsternd: »Alissa? Alissa, Liebling ... Hast du mich gerufen?«
    Ebenso unvorhersehbar und wetterwendisch wie Mr. Muirs schwere Träume waren die nächtlichen Gepflogenheiten der Katze Miranda. Zuweilen rollte sie sich behaglich am Fußende von Alissas Bett zusammen und schlief dort friedlich bis zum nächsten Morgen durch, dann wieder ruhte sie nicht, bis man sie hinausließ, so gern Alissa es auch hatte, wenn die Katze auf ihrem Bett schlief. Es sei irgendwie tröstlich, sagte Alissa (kindisch, ich weiß, fügte sie dann gern hinzu), die weiße Perserkatze die ganze Nacht in ihrem Zimmer zu wissen, ihr Gewicht warm und fest auf dem Satinbezug am Fußende ihres Bettes zu spüren.
    Andererseits wußte Alissa natürlich, daß man eine Katze zu nichts zwingen kann. »Das ist fast so was wie ein Naturgesetz«, sagte sie feierlich.

    Wenige Tage nach dem mißlungenen Giftmord war Mr. Muir in der frühen Dämmerung mit seinem Wagen auf dem Heimweg, als er eine Meile vor seinem Grundstück die weiße Katze sah; reglos, wie gelähmt vom Scheinwerferstrahl, saß sie auf der Gegenfahrbahn. Ungebeten schoß ihm der
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