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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Alissa. »Das können wir ihr eigentlich nicht antun.«
    »Nein, wirklich nicht«, bestätigte Mr. Muir.
    Und dann beschloß Alissa unvermittelt, ans Theater zurückzukehren, sich wieder ihrer »Karriere« zu widmen, wie sie gewichtig sagte, als handele es sich dabei um ein Phänomen, auf das sie selbst keinen Einfluß hatte, um das Diktum einer höheren Macht. Und Mr. Muir freute sich für sie, ja, er freute sich wirklich sehr. Er war stolz auf die Professionalität seiner Frau, er war nicht eifersüchtig auf ihren immer größer werdenden Freundes-, Bekannten-, Kollegenkreis. Er war nicht eifersüchtig auf ihre Schauspielerkollegen und Kolleginnen - Rikka, Mario, Robin, Sibyl, Emile und jetzt Alban mit den feuchten dunkelglänzenden Augen und dem raschen gewinnenden Lächeln. Auch neidete er ihr nicht die Zeit, die sie auswärts oder zu Hause arbeitend in ihrem sogenannten Studio verbrachte. Als reife Frau gab Alissa Howth besonders gern rauhe, aber herzliche Typen, auch wenn sie dadurch auf bestimmte Rollen festgelegt war, Rollen, für die ohnehin nur ältere Schauspielerinnen in Frage kamen und für die nicht unbedingt Äußerlichkeiten ausschlaggebend waren. Sie spielte jetzt viel besser, viel subtiler, das sagten alle.
    Ja, Mr. Muir war stolz auf seine Frau und freute sich für sie. Und wenn er hin und wieder so etwas wie einen leichten Groll verspürte - nein, vielleicht nicht einmal das, sondern nur einen Hauch von Bedauern darüber, daß ihr Leben nicht mehr eins war, sondern auf getrennten Wegen verlief -, war er zu sehr Gentleman, um sich das anmerken zu lassen.

    »Wo ist Miranda? Hast du Miranda heute schon gesehen?«
    Es wurde Mittag, es wurde vier, es dunkelte - und Miranda war noch nicht wieder da. Alissa hatte fast den ganzen Tag am Telefon verbracht - die Anrufe rissen nicht ab - und erst nach und nach begriffen, wie lange die Katze schon fort war. Sie ging nach draußen, rief, schickte Dienstboten nach ihr aus. Und natürlich trug auch Mr. Muir sein Teil bei, er lief auf dem Grundstück herum und in den Wald hinein, er legte die Hände an den Mund und rief mit hoher, zitternder Stimme: »Miez-miez-miez-miez! Miez-miez-miez ...« Wie kläglich, wie töricht - wie vergeblich. Und doch mußte es sein, denn es war das, was in so einer Situation erwartet wurde. Julius Muir, fürsorglichster aller Ehemänner, kämpfte sich durchs Unterholz und suchte nach der Perserkatze seiner Frau ...
    Arme Alissa, dachte er. Sie wird tagelang, womöglich wochenlang untröstlich sein.
    Auch ihm würde Miranda fehlen, zumindest als Teil des Inventars. Im Herbst hätten sie die Katze zehn Jahre gehabt.
    Das Abendessen verlief an diesem Tag gedämpft, fast bleiern. Nicht nur, weil Miranda nicht da war (was Alissa in ganz außerordentliche und offenbar ehrliche Unruhe versetzte), sondern weil Mr. Muir und seine Frau allein dinierten; der nur für zwei Personen gedeckte Tisch schien fast unästhetisch. Und diese widernatürliche Ruhe ... Mr. Muir versuchte Konversation zu machen, aber seine Stimme verlor sich sehr bald in schuldbeladenem Schweigen. Während des Essens stand Alissa einmal auf, um einen Anruf entgegenzunehmen (aus Manhattan, wie konnte es anders sein, ihr Agent, ihr Regisseur, Alban oder eine Freundin - es war wohl dringend, denn in solchen Stunden der Zweisamkeit ließ Mrs. Muir sonst keine Gespräche durchstellen), und Mr. Muir beendete sein einsames Mahl geknickt, verletzt und in einer Art Trance, ohne etwas zu schmecken. Er dachte an den vergangenen Abend, an den durchdringenden Geruch des Katzenfutters, die weißen Giftkörner, den Blick der schlauen Kreatur, als sie sich an seinen Beinen gerieben hatte in einer verspäteten Geste ... der Zuneigung? Des Vorwurfs? Des Spotts? Wieder schlug ihm das Gewissen, aber die tiefinnerliche Genugtuung überwog. Dann blickte er auf - und sah etwas Weißes auf der Gartenmauer entlangspazieren ...
    Miranda war wieder da.
    Sprachlos vor Entsetzen sah er hin, hoffte, das Trugbild würde wieder verschwinden.
    Dann stand er benommen auf und zwang sich, so etwas wie Frohlocken in seiner Stimme anklingen zu lassen. »Miranda ist heimgekommen«, rief er zu Alissa ins Nebenzimmer hinüber. »Alissa, Liebling! Miranda ist wieder da.«
    Ja, es war Miranda, die mit bernsteingelb leuchtenden Augen von der Terrasse ins Speisezimmer blickte. Mr. Muir zitterte, aber es dauerte nicht lange, bis sein Verstand die Tatsache verarbeitet und eine logische Erklärung dafür gefunden hatte.
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