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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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Bürger mehr zu sehen. Der Staub der Zerstörung erfüllte die Luft. Einer der Roboter näherte sich Phillips und sagte mit trockener, knackender Stimme: »Sie dürfen hier nicht sein. Die Stadt ist geschlossen.«
    Phillips betrachtete das blinkende, summende Band von Abtastern und Sensoren quer über der glitzernden, spitz zulaufenden Schnauze der Kreatur. »Ich suche jemanden, einen Bürger, der kürzlich hier gewesen sein soll. Ihr Name ist ...«
    »Die Stadt ist geschlossen«, wiederholte der Roboter unerschütterlich.
    Sie ließen ihn nicht einmal eine Stunde lang bleiben. Es gibt hier nichts zu essen, sagte der Roboter, kein Wasser, keine Unterkünfte. Dies ist nicht länger ein Ort. Sie dürfen nicht bleiben. Sie dürfen hier nicht bleiben.
    Dies ist nicht länger ein Ort.
    Vielleicht konnte er sie dann in New Chicago finden. Er stieg wieder in die Luft auf und hielt sich über der endlosen Leere in nordwestlicher Richtung. Das Land unter ihm fiel zum Horizont hin ab, der im Dunst verschwamm. Alles war öde, ohne Leben. Was hatten sie mit den Überresten der versunkenen Welt gemacht? Hatten sie ihre glänzenden Metallkäfer losgelassen, damit sie alles säuberten? Gab es nirgends mehr wirklich alte Ruinen? Kein Krümelchen von Rom, keine Scherbe von Jerusalem, keine Spur der Fifth Avenue? Dort unten war alles karg, eine leere Bühne, die darauf wartete, daß das nächste Bühnenbild aufgebaut würde. Er flog in weitem Bogen über die vorspringende Ausbuchtung von Afrika und weiter in Richtung auf das, was er für Südeuropa hielt. Das kleine Flugzeug machte die ganze Arbeit und überließ es ihm, zu dösen oder hinauszuschauen, ganz wie er es wünschte. Von Zeit zu Zeit sah er einen anderen Himmelsflitzer vorbeifliegen, weit entfernt, ein dunkler, undeutlicher Tropfen, der sich gegen den leuchtend klaren Himmel abhob. Er wünschte, daß es eine Möglichkeit gäbe, mit ihnen in Funkkontakt zu treten, aber er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Es gab auch eigentlich nichts, was er ihnen hätte sagen wollen; er wollte nur eine menschliche Stimme hören. Er fühlte sich völlig isoliert. Er hätte genausogut der letzte lebende Mensch auf Erden sein können. Schließlich schloß er die Augen und dachte an Gioia.

    »Ungefähr so?« fragte Phillips. In einem elfenbeinverkleideten ovalen Raum sechzig Stockwerke über den sanft glühenden Straßen von New Chicago hob er einen kleinen kalten Plastikbecher an seine Oberlippe und drückte den Knopf an dessen Boden. Er hörte ein sprudelndes Geräusch, und dann stieg ihm blauer Dampf in die Nasenlöcher.
    »Ja«, sagte Cantilena. »So ist es richtig.«
    Er spürte ein schwaches Aroma von Zimt, Gewürznelke und etwas, das beinahe gekochter Hummer hätte sein können. Dann traf ihn ein Schwindelanfall, und Visionen erschienen in seinem Kopf: Gothische Kathedralen, die Pyramiden, der Central Park im frischen Schnee, die strengen, aus Ziegelsteinen errichteten Ameisenhaufen von Mohenjo-daro und fünfzigtausend weitere Orte, alles auf einmal, eine wilde Achterbahnfahrt durch Raum und Zeit. Es schien Jahrhunderte zu währen. Aber schließlich klärte sich sein Verstand, er blickte blinzelnd um sich und erkannte, daß das Ganze nur wenige Augenblicke gedauert hatte. Cantilena stand noch immer an seiner Seite. Die anderen Bürger in dem Raum - fünfzehn, zwanzig von ihnen - hatten sich kaum gerührt. Der fremde kleine Mann mit einer Haut wie feinstes Porzellan, der an der Wand gegenüber lehnte, schaute ihn immer noch an.
    »Nun?« fragte Cantilena. »Was hast du dabei gedacht?«
    »Unglaublich.«
    »Und völlig authentisch. Es ist eine echte Droge aus New Chicago. Die genaue Formel. Möchtest du noch eine andere probieren?«
    »Nicht gerade jetzt«, sagte Phillips unsicher. Er schwankte und mußte um sein Gleichgewicht ringen. Es schien doch keine so gute Idee gewesen zu sein, diesen Stoff zu schnüffeln, dachte er.
    Er war seit einer Woche in New Chicago, oder vielleicht waren es auch zwei, er litt immer noch an der seltsamen Orientierungslosigkeit, die diese Stadt immer in ihm hervorrief. Dies war das vierte Mal, daß er hier war, und es war jedesmal das gleiche gewesen. New Chicago war die einzige der wiedererstandenen Städte in dieser Welt, deren Original erst nach seiner eigenen Zeit existiert hatte. Für ihn stellte sie den Vorposten einer unverständlichen Zukunft dar; für die Bürger war sie ein bemerkenswertes Abbild der archäologischen Vergangenheit.
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