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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman
Autoren: Neal Stephenson
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habe sie in Zeitlupe bewegt, um es dir zu erleichtern, die Daten niederzuschreiben.«
    Mit diesem sehr schwachen Versuch, witzig zu sein, wusste Barb nichts anzufangen. Nach kurzem verlegenem Schweigen ackerte ich weiter: »Kannst du nun eine graphische Darstellung zeichnen? Eine dreidimensionale Darstellung dieser Zahlen?«
    »Klar«, sagte Barb unsicher, »aber das wird komisch aussehen.«

    »Die gepunktete Linie auf dem Boden zeigt nur die Werte für x und y«, erklärte Barb. »Die Linie, die die Flasche auf dem Boden beschrieben hat.«
    »Das ist in Ordnung – sonst wäre es auch verwirrend, wenn du nicht an den Konfigurationsraum gewöhnt bist«, sagte ich. »Ein Teil davon – der xy-Weg, den du als gepunktete Linie dargestellt hast – sieht nämlich so aus wie etwas, was wir alle vom adrakhonischen Raum kennen; er zeigt, wo sich die Flasche auf dem Boden hinbewegt hat. Aber die dritte Dimension, die den Winkel zeigt, ist eine völlig andere Geschichte. Sie zeigt keinen eigentlichen Abstand im Raum. Sie zeigt eine Winkelverschiebung – eine Drehung – der Flasche. Sobald man das begriffen hat, kann man es direkt vom Graphen ablesen und sagen: ›Ja, ich verstehe, sie hat bei zwanzig Grad angefangen und sich dann bis auf etwas über dreihundert Grad gedreht, während sie über den Boden gerutscht ist.‹ Aber wenn man den geheimen Code nicht kennt, ergibt es überhaupt keinen Sinn.«
    »Und wozu ist das Ganze gut?«
    »Na ja, stell dir vor, du hättest einen komplizierteren Zustand. Angenommen, du hättest eine Flasche und eine Kartoffel. Dann bräuchtest du einen zehndimensionalen Konfigurationsraum, um den Zustand des Flaschen-Kartoffel-Systems darzustellen.«
    »Zehn!?«
    »Fünf für die Flasche und fünf für die Kartoffel.«
    »Wie kommst du auf fünf? Wir benutzen nur drei Dimensionen für die Flasche!«
    »Ja, aber wir schummeln, indem wir zwei ihrer Rotationsfreiheitsgrade weglassen«, sagte ich.
    »Und das heißt …?«
    Ich hockte mich hin und legte die Hand auf die Flasche. Zufällig zeigte das Etikett nach unten. Ich rollte sie herum. »Siehst du, ich drehe sie um die Längsachse, damit ich das Etikett lesen kann«, meinte ich. »Diese Rotation ist ein von der Kreiseldrehbewegung, die du auf deiner Tafel dargestellt hast, völlig getrennter, eigenständiger Wert. Also brauchen wir dafür eine zusätzliche Dimension.« Nun packte ich die Flasche und hob sie so an, dass der untere Rand noch Bodenberührung hatte und der Hals wie ein Geschütz schräg nach oben zeigte. »Und was ich hier tue, ist eine weitere, völlig unabhängige Rotation.«
    »Damit wären wir allein für die Flasche bei fünf«, sagte Barb.
    »Ja. Zur vollständigen Verallgemeinerung müssten wir noch eine
sechste Dimension hinzufügen, um die senkrechte Bewegung zu erfassen«, sagte ich und hob die Flasche vom Boden. »Damit wären wir bei sechs Dimensionen in unserem Konfigurationsraum, nur um die Lage und Ausrichtung der Flasche darzustellen.« Ich legte die Flasche wieder hin. »Aber solange wir sie auf dem Boden lassen, kommen wir mit fünf hin.«
    »Gut«, sagte Barb. Das sagte er nur, wenn er etwas völlig verstanden hatte.
    »Freut mich, dass du das so siehst. In sechs Dimensionen zu denken ist schwierig.«
    »Ich denke es mir einfach als sechs Spalten auf meiner Tafel anstelle von drei«, sagte er. »Aber ich verstehe nicht, warum wir für die Kartoffel sechs komplett neue Dimensionen brauchen. Warum nehmen wir nicht einfach noch mal die sechs, die wir schon für die Flasche haben?«
    »In gewissem Sinne tun wir das ja«, sagte ich, »aber wir notieren die jeweiligen Werte in getrennten Spalten. Auf diese Weise gibt jede Reihe der Tabelle alles an, was es zu einem bestimmten Zeitpunkt über das Flaschen-Kartoffel-System zu wissen gibt. Jede Reihe – die Reihe von zwölf Zahlen, die die x-, y- und z-Lage der Flasche, ihren Kreiseldrehwinkel, ihren Etikettlesewinkel und ihren Kippwinkel sowie die entsprechenden sechs Werte für die Kartoffel angibt – beschreibt einen Punkt im zwölfdimensionalen Konfigurationsraum. Und für Theoren praktisch wird die Sache unter anderem dann, wenn wir Punkte zu Trajektorien im Konfigurationsraum verbinden.«
    »Wenn du ›Trajektorie‹ sagst, denke ich an etwas, was durch die Luft fliegt«, sagte Barb, »aber ich verstehe nicht, was du meinst, wenn du das Wort in diesem zwölfdimensionalen Raum benutzt, der gar nicht wie ein Raum ist.«
    »Also gut, machen wir es ultraeinfach und
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