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Anastasija 06 - Widrige Umstände

Anastasija 06 - Widrige Umstände

Titel: Anastasija 06 - Widrige Umstände
Autoren: Alexandra Marinina
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uns Fleisch brate?«, fragte der Gallier höflich und nahm ein Stück Schweinefleisch aus dem Tiefkühlfach. »In der Mikrowelle taut das schnell auf.«
    Er hatte beschlossen, in der verbleibenden Zeit nicht mehr auf ihre Sticheleien einzugehen, die Regeln des guten Tons und totale Gelassenheit zu wahren. Selbst wenn sie ihn offen provozieren sollte, würde er nicht darauf reagieren. Aber Larissa schien sich ausgetobt zu haben. Sie war still, als spüre sie den nahen Tod. Wieder empfand der Gallier so etwas wie Mitleid mit ihr.
    »Gut, bitte«, antwortete sie ungewöhnlich sanft. »Kriege ich wenigstens noch eine anständige Henkersmahlzeit.«
    Erst einige Minuten später merkte der Gallier, dass er erneut einen Fehler gemacht hatte. Nun war es zu spät, ihn zu korrigieren. War er wirklich langsam am Ende? Zwei Fehler in der letzten Stunde. Erst bei dem Gespräch über Pawlow, und nun, als sie von ›Henkersmahlzeit‹ gesprochen hatte. Er Idiot hatte dazu geschwiegen, statt erstaunt zu fragen: Wieso Henkersmahlzeit? Er hatte geschwiegen, weil es stimmte. Er musste versuchen, sie von diesem Gedanken abzulenken.
    »Hör mal, hast du ein Hobby?«, fragte er sie, als er den Zeitschalter der Mikrowelle einstellte.
    »Ja. Einen Beweis für den Fermatschen Satz suchen«, antwortete sie ernst.
    »Du mit deinen dauernden Witzeleien.« Der Gallier verzog unwillig das Gesicht.
    »Nein, wieso denn, das ist kein Witz. Wer einen Beweis für den Fermatschen Satz findet, der bekommt den berühmten Wolfskehl-Preis. Dem sind Weltruhm und ewiges Ansehen sicher. Dann macht einem der Tod nichts aus.«
    »Wieso redest du dauernd vom Tod? Sieh mal: Die Sonne geht auf, der Himmel ist blau, die Vögel singen. Das Leben ist schön, Mylady! Sie bekommen Ihr Geld, sparen auf ein neues Auto und fahren in Urlaub.«
    »Und du?« Sie sah den Gallier durchdringend an. »Was machst du, wenn du dein Geld bekommen hast?«
    »Was soll das mit dem Fermatschen Satz?«, fragte Mischa Dozenko verständnislos.
    Gordejew schlug sich mit der Faust aufs Knie.
    »Wir Idioten! Wir sind alle Idioten! Wer hat die Nummer von Tschistjakow?«
    »Viktor Alexejewitsch, es ist fünf Uhr früh.«
    »Scheißegal! Ruf ihn sofort an! Na los, ruf an, sag ich!«
    Als Gordejew sah, wie Dozenko zögerte, stürzte er selbst zum Telefon.
    »Gib mir die Nummer, ich rede selbst mit ihm.«
    »Wie ist das Fleisch? Gut durchgebraten?«
    »Durchaus. Du würdest einen guten Koch abgeben, Michrjutka. Bleib bei mir, ja? Ich stell dich als Haushaltshilfe ein. Das Einkommen ist nicht üppig, aber stabil. Und vor allem – ganz legal.«
    »Iss auf, und dann machen wir uns fertig«, sagte der Gallier sachlich.
    Nastja registrierte, dass er auf ihre Provokationen nicht mehr einging. Was bedeutete das? Die Konzentration vor dem Sprung ins Wasser? Oder ahnte er etwas? Sie musste sofort ihre Taktik ändern. Das mit dem Fermatschen Satz war natürlich ein bisschen dick aufgetragen gewesen. Aber notwendig. Oder würden sie es nun noch immer nicht rauskriegen?
    »Gehen Sie bitte nicht weg«, bat Gordejew. »Vielleicht muss ich Sie noch einmal anrufen.«
    Korotkow und Dozenko sahen ihren Chef wortlos an.
    »Er sagt, die Zahlen könnten etwa Folgendes bedeuten: Eine völlig andere Regel, mit einer eigenen Formel.«
    »Aber warum?«, riefen beide gleichzeitig.
    »Das ist umständlich zu erklären. Kurz, wenn wir alles richtig verstanden haben, will sie uns damit sagen, dass der Gallier nach einem anderen Schema vorgeht. Er will sie nicht in der Wohnung töten, wie wir vermutet haben, sondern woanders. Dort wird auch Pawlow getötet, durch einen fingierten Selbstmord. Am Tatort wird er Beweise für Pawlows Beteiligung an beiden Morden hinterlassen. Was tut sich in der Wohnung?«
    »Sie wollen aufbrechen.«
    »Ganz schön clever, das Schwein! Um diese Zeit sind die Straßen wie leer gefegt, der Prospekt ist schnurgerade, nach allen Seiten freie Sicht. Sie werden uns entwischen! Verdammt, wo will er sie hinbringen? Am wahrscheinlichsten sind zwei Varianten: Die Wohnung von Murtasow und Pawlows Datscha. Was meint ihr?«
    Als Nastja aus dem Vorortzug ausstieg, konnte sie auf dem Bahnsteig niemanden von ihren Leuten entdecken. Sie haben uns verloren, dachte sie entmutigt. Sie haben mich nicht verstanden. Es hat nicht sollen sein.
    An der Kasse standen zwei Männer und stritten sich erbittert.
    »Mein Lebtag hat eine Karte bis Moskau und zurück zwei achtzig gekostet! Ich fahre die Strecke seit zehn
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