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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR
Autoren: Serhij Zhadan
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der Pflichterfüllung auf den Heimweg. Die Wachposten an der Pforte salutierten ihm und sagten achtungsvoll – da schleppt Iwan Mychajlowytsch mal wieder seinen Schrott mit nach Hause.
    Nachdem sie ihr Gebet abgesungen hatten, formierten sich die Buddhisten zu einem Zug und gingen zufrieden nach Hause. Der Trommelschlag hallte noch lange nach.
    Im Sommer des darauffolgenden Jahres tauchten sie wieder auf und luden mich ein. Die Revolution erkannte ihre Niederlage an, die Reaktion feierte den vollständigen und unangefochtenen Sieg, ringsum alles Scheiße, lauter Arschlöcher, alle hatten sich vom volksfeindlichen Regime mit seinen Komitee-Fuzzis und Satanisten bestechen lassen, die Freunde machten sich nach und nach aus dem Staub, der Sommer war lang, aber der Herbst nicht mehr weit, ganz und gar nicht. Die Buddhisten riefen an und erzählten, daß sie einen Friedensstupa einweihen wollten, und luden mich dazu ein. Aha, dachte ich, wer ist denn da immer noch in Aktion, bleibt standhaft und hartnäckig, wer läßt sich den Schizo von keinem Regime austreiben, nicht einmal von so einem volksfeindlichen wie dem unserem. Mir gefiel der Ausdruck »Friedensstupa«, und so fuhr ich zur Einweihung hin.
    Daß sie im Pionierlager lebten, wunderte mich gar nicht, haut doch hin, dachte ich, ganz richtig, wo sollen sie denn sonst leben, wenn nicht im Pionierlager, sie erinnern dermaßen an eine Pioniergruppe, eine Pioniergruppe mit Namen »Höchstes Chakra«. Das Lager befand sich auf dem Gebiet des Charkiwer Waldparks, zu Sowjetzeiten gehörte es zu irgendeiner Fabrik, die war jetzt bankrott, das Lager verfiel, und so hatten es die Buddhisten besetzt. Und versuchten nun, sich dort zu verschanzen. Das volksfeindliche System, allen voran der uns schon bekannte Satanist Iwan Mychajlowytsch, bekämpfte sie mit allen Mitteln und wollte sie aus dem Lager in den dichten Kiefernwald oder besser noch auf das Territorium der befreundeten Russischen Föderation vertreiben. Die Buddhisten hielten sich tapfer, aber um den Geist zu stärken, errichteten sie auf dem Gelände des Pionierlagers einen Friedensstupa und luden zur Einweihung Vertreter der Massenmedien und befreundeter Organisationen ein. Wie sich herausstellte, war ich der Vertreter einer befreundeten Organisation, obwohl ich selbst nicht wußte, von welcher eigentlich.
    Von der Chaussee aus führte ein Sandweg in den Wald. Ich stieg aus dem Bus und sah mich traurig um, wo soll denn hier, dachte ich, dieser Stupa sein? Aus dem Wald war lebhaftes Getrommel zu hören, aha, sagte ich mir.
    Der Stupa war auf dem Sportplatz errichtet worden und erinnerte an eine Litfaßsäule, er war ungefähr zwei Meter hoch, und ich persönlich konnte ihn nicht mit Frieden in Verbindung bringen. Aber gut. Um den Stupa herum standen meine Buddhistenfreunde, die Trommeln bereithaltend, zwischen ihnen wuselten Medienvertreter herum, aus gebührendem Abstand betrachteten die Vertreter der befreundeten Organisationen das Geschehen. Zwei Sträflingsbuddhisten erblickten mich und kamen erfreut auf mich zu, Guten Tag, sagten sie, Friede mit Ihnen, das klang wie »Ficke mit ihnen«, danke, sagte ich, schön, daß Sie gekommen sind, es geht gleich los. Der Hauptbuddhist, ihr Pionierleiter sozusagen, winkte, und die Buddhisten begannen ihren Singsang. Sie sangen lange und inbrünstig und blickten dabei voller Liebe auf ihre Säule. Nach etwa fünfzehn Minuten hörten sie auf. Und jetzt, sagte der Pionierleiter, stellen wir uns alle im Kreis auf und sprechen ein Friedensgebet. Die Vertreter der befreundeten Organisationen liefen alle artig zur Säule. Putziger Stupa, dachte ich und ging zurück zur Chaussee. Aber Geld hatten die, glaube ich, trotzdem nicht.
     
8. The Stooges. Real Cool Time.
    Woher kommen sie, und wohin verschwinden sie dann? Wer überprüft ihre Bewegung? Wer hilft ihnen in diesem Leben? Man muß ein Monster sein, um tagaus, tagein den täglichen Druck der beschränkten ukrainischen Gesellschaft, des blutigen Alltagslebens auszuhalten, in das sie so schlecht hineinfinden wie Musiker einer Beerdigungskapelle in ihre erste Trauermelodie. Diese Buddhisten, die glauben, mit der Errichtung ihrer Litfaßsäule inmitten des Pionierlagers ihrem ausgesperrten Guru, ihrem Himmelsbuddha näher gekommen zu sein, was hätte aus ihnen werden sollen, wären sie nicht bereit gewesen, die orangeroten Gewänder überzustreifen und die Pioniertrommeln zur Hand zu nehmen? Keine Ahnung, vielleicht ist wirklich zu
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