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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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»Sinhazinha«. Vitória gefiel
diese zärtliche Verkleinerungsform von »Sinhá«, welche wiederum die
vereinfachte Variante der Schwarzen für »Senhora« oder »Senhorita« war. Als
einzige Sklavin nahm sich Luiza außerdem die Freiheit, ihre Meinung offen zu äußern.
Die anderen Sklaven verehrten sie wie eine Heilige. Sie waren davon überzeugt,
dass Luiza magische Kräfte besaß. Manchmal war sogar Vitória geneigt, sich
dieser Überzeugung anzuschließen, auch wenn sie jeden Aberglauben und vor allem
die sonderbaren Zauberkulte der Sklaven für ausgemachten Unsinn hielt. Luiza
war eine hagere Frau unbestimmten Alters. Vitória schätzte sie auf etwa fünfzig
Jahre, aber die Anekdoten, die Luiza in ihren seltenen geschwätzigen Momenten
zum Besten gab, ließen auf ein sehr viel höheres Alter schließen. Warum Luiza
beharrlich ihr wahres Alter verschwieg, war Vitória schleierhaft. Ob Luiza
glaubte, damit ihre Attraktivität steigern zu können? Lächerlich. Die Köchin
war dürr, alt und von tiefschwarzer Farbe, und genau deshalb, fand Vitória,
hatte sie auch nicht das Recht, am Aussehen ihrer Sinhazinha herumzumäkeln.
    »Luiza, was schert dich mein Aufzug?«
    »Kindchen, du verrohst. Du siehst aus wie eine Bäuerin,
in diesen grässlichen Schuhen und dem abgetragenen Kleid. Noch dazu ungeschnürt.
Wenn dich Senhor Eduardo so sehen könnte ...«
    »Aber Papai sieht mich so nicht.
Punkt. Und heute Abend, wenn die Gäste kommen, wirst du mich nicht mehr
wiedererkennen.«
    »Welche Gäste?«
    »Pedro kommt, und er bringt drei Freunde mit.«
    »Das wurde aber auch Zeit, dass er sich mal
wieder zu Hause blicken lässt«, grummelte Luiza. Ihr mürrischer Ton täuschte
Vitória nicht. Sie wusste, dass die Köchin ganz vernarrt in Pedro war und dass
sie sich über sein Kommen freute.
    »Wer weiß, was er wieder angestellt hat. Oder
was treibt ihn mitten in der Woche heim?« Dabei versenkte Luiza ihre dürren,
aber kräftigen Arme wieder in dem Teig.
    »Das habe ich mich auch schon gefragt. Aber da
er Freunde mitbringt, Männer von Stand, könnte der Anlass ja ausnahmsweise mal
erfreulicher Natur sein. Auf jeden Fall müssen wir uns etwas einfallen lassen,
schließlich wird auch Papai heute Abend einen Grund zum Feiern haben.«
    Die Köchin machte ein nachdenkliches Gesicht,
knetete aber unbeirrt und mit vollem Körpereinsatz weiter.
    »Assado de porco«, sagte Luiza plötzlich.
Ihr Ton duldete keine Widerrede. »Pedro liebt meinen Schweinebraten. Und die
anderen Herren werden ihn auch mögen – junge Männer brauchen etwas Richtiges zu
essen. Dazu können wir Dauphinkartoffeln reichen, obwohl ausgebackene
Maniokwurzeln meiner Meinung nach viel besser dazu passen. Aber Dona Alma wird
etwas dagegen haben.«
    »Papperlapapp! Maniok ist genau das Richtige.« Vitória
liebte die goldgelb gebackenen Scheiben der Wurzel, die außen knusprig und
innen mehlig waren und einen süßlichen Geschmack hatten. Eine Eigenschaft aber
schätzte sie an Maniok besonders: Es war eine ganz und gar uneuropäische
Speise. In allem eiferte die gehobene Gesellschaft Brasiliens dem Alten
Kontinent nach, ohne freilich je denselben Grad an Raffinesse zu erlangen, und
Vitória war dieser Unsitte längst überdrüssig.
    Luiza hob eine Augenbraue. »Kindchen, Kindchen
...« Sie schien Vitórias Beweggründe immer zu durchschauen. »Du willst nur
Maniok, weil Dona Alma ihn nicht will.«
    »Und wenn schon. Du hast ja selbst gesagt, dass
Maniok zum Braten viel besser passen würde. Und da Mamãe es vorzieht, sich aus
den Vorbereitungen herauszuhalten, bestimme ich. Es bleibt also dabei.«
    Luiza konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Das Kind war ganz nach seinem Vater geraten, jedenfalls dem Temperament und dem
Charakter nach. Rein äußerlich dagegen ähnelte sie mehr der Mutter, mit ihrer
grazilen Gestalt, dem durchscheinenden Weiß ihrer Haut und dem gelockten
schwarzen Haar. Anders als Dona Alma aber hatte Vitória hellblaue Augen.
Umrahmt von herrlichen langen, schwarzen Wimpern, strahlten Vitórias Augen in
einer Farbe, die der des Himmels an einem klaren Junimorgen ähnelte, wenn keine
Wolke und kein Dunst die Sicht trübten. Eine Schönheit war sie, ihre
Sinhazinha, mit diesen unglaublich hellen Augen, deren einziger Makel es war,
dass aus ihnen mehr Verstand sprach, als es sich für ein junges Mädchen ziemte.
    »Was starrst du mich so an?«
    Luiza senkte den Blick und schien sich wieder
voll und ganz auf ihren Teig zu
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