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Amors Glücksfall (German Edition)

Amors Glücksfall (German Edition)

Titel: Amors Glücksfall (German Edition)
Autoren: Johanna Wasser
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kleinen Berg mit riesigen Feldern und war ein ganzes Stück länger. Wir überlegten noch, welchen Weg wir nehmen wollten, als wir an der Wegkreuzung ankamen. Die Männer entschieden sich für den kürzeren Weg. Ich aber stand mit offenem Mund davor und begann zu weinen, weil der längere Weg mit einem Pfeil und mehreren kleinen Sternen auf dem Schild gekennzeichnet war. Und so wählte ich, ohne etwas zu sagen, den Sternenweg. Es schien für die anderen in Ordnung zu sein, denn niemand hielt mich zurück.
    In der Einsamkeit wurde ich später ein wenig sentimental, weil ich mich plötzlich an ein Gespräch erinnerte, das über eine Woche zurücklag. Frank und ich hatten gemeinsam den nächtlichen Himmel beobachtet und eine Weile darüber philosophiert, welche Abstufungen es in der Liebe gab. Er hatte vom Ende der Welt gesprochen und ich hatte das in dieser Nacht nicht hinterfragt. Es war eine Floskel gewesen, die ausdrückte, wie wichtig ich ihm bin. So hatte ich es zumindest aufgefasst und wahrscheinlich auch deswegen in den letzten Tagen nicht darüber nachgedacht. Jetzt aber tauchte die Erinnerung wieder auf. Vielleicht lösten es die Sterne aus, die mir hier überall begegneten. Ich sah sie in Steinform, auf Schildern, in die Baumrinden geschnitzt. Das Versprechen vorhin auf dem Pfeil war mit Sicherheit alles andere als falsch gewesen.
    Ich wusste um die Legenden des Jakobswegs, wusste, dass er Sternenweg genannt wurde und dass er angeblich genau unter der Milchstraße entlangführte. Und ich wusste nicht, ob ich diese Dinge glaubte. Doch mit jedem Schritt verstand ich immer mehr, was ich hier wirklich tat. Ich war nicht nur nach Spanien gekommen, um den Jakobsweg zu beschreiten. Ich war meinen eigenen Sternen gefolgt, die an diesem Tag wie das Glück selbst für mich lachten und mich den ganzen Weg entlang begleiteten, während ich an einen Traum dachte, der mich hierher gebracht hatte.
    „Du leuchtest geradezu von innen her“, lächelte Frank wissend, als ich gute drei Stunden später wieder auf meine drei Musketiere traf.
    „Es hat dir wohl gut getan, eine Weile allein zu sein“, fügte er fast traurig hinzu, nachdem ich seine erste Bemerkung unbeantwortet gelassen hatte.
    „Ein bisschen vielleicht", flüsterte ich und bemerkte sogleich, dass meine Stimme versagte. „Ich muss nur an den fünften Zacken des Sterns denken.“ Offensichtlich hatte der Wind meinem Hals mehr zugesetzt, da mir ein schmerzhaftes Kratzen das Sprechen erschwerte.
    „Wieso der fünfte Zacken? Ich wüsste nicht einmal, wofür die anderen vier stehen", nahm Frank mit einer viel leiseren Stimme als noch vorhin das Gespräch auf. Er schien sichtlich zufrieden, dass ich überhaupt mit ihm redete. „Warte, sag nichts.“ Er klackerte mit seinen Wanderstöcken auf dem Asphalt herum und überlegte einen kurzen Moment. „Wir vier?“, grinste er nach einer Weile und sah sich nach Gerald und Luis um. Später verfinsterte sich seine Miene, weil ich den Kopf geschüttelt hatte. „Ach, ich weiß! Warte!“ Er beschleunigte seinen Schritt und holte mich ein, da ich ihn zuvor überholt hatte, weil er stehengeblieben war. „Himmelsrichtungen?“, fragte er und ich hörte Begeisterung in seiner Stimme. Er war sich ziemlich sicher, dass er richtig lag. Ich lächelte, nickte und mein Begleiter begann trotz seines schweren Rucksacks neben mir zu tänzeln an. „Wusste ich es doch!“ Er freute sich wie ein Kind und ich fühlte wieder, wie viel sich auf dem Sternenweg für mich verändert hatte.
    Erst später am Abend stellte er mir die Frage, die er vor lauter Freude vorher ganz vergessen hatte. Ich schloss meine Augen und schmiegte mich tiefer in das große, flache Kissen unter mir.
    „Ich denke, der fünfte Zacken steht auch für eine Himmelsrichtung. Allerdings für eine, die man mit keinem Kompass der Welt finden kann“, sagte ich heiser. Einen stillen Moment lang hörte ich nichts um mich herum.
    „Die zu sich selbst“, flüsterte mein Freund mit einem Lächeln in seiner Stimme. Ich lächelte zurück, dachte an den Mann an den schwarzen Steinen und schlief bald darauf glücklich und voller Zuversicht ein.
     
     
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