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Amnion Omnibus

Amnion Omnibus

Titel: Amnion Omnibus
Autoren: Stephen Donaldson
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gedacht, daß er hinter der Fassade seiner für ihn typischen Versöhnlichkeit soviel Resolutheit in Reserve hält.
    Trotz allem war aus meiner Sicht ein Vorfall bemerkenswerter als alle anderen Vorgänge – bemerkenswert allemal in der Beziehung, daß ich ungeachtet des Charakters dieser Begebenheit nicht im geringsten den Hang verspüre, sie in meinen Aufzeichnungen zu verschweigen. Ich meine das Betragen Davies Hylands jr.
    mir gegenüber.
    Während der beiden Tage zwischen seiner Ankunft im VMKP-HQ und seinem Erscheinen vor dem EKRK zeichnete sein Benehmen sich durch äußerste Korrektheit aus. Er beantwortete alle an ihn gerichteten Fragen nach Maßgabe der Umstände wahrheitsgetreu – im wesentlichen betrafen sie Morn Hyland und Kapitän Thermopyle –, machte über sich selbst jedoch keinerlei Aussagen. Genausowenig ließen sich ihm vor dem Regierungskonzil irgendwelche persönlichen Emotionen in bezug auf mich anmerken. Aber nach Abschluß der Konzilssitzung kam Davies Hyland jr. zu mir und versetzte mir vor den Augen aller Parlamentarier und ihrer Mitarbeiter einen Faustschlag, der mir an drei Stellen die linke Seite des Unterkiefers brach.
    »Schönen Gruß von Angus«, sagte er dabei zu mir.
    »Er hätte Ihnen lieber selber was reingesemmelt. Aber er hatte Bedenken, er dachte, Sie verschmoren ihm vielleicht das Hirn.« Tatsächlich wäre ich dazu imstande gewesen – aber ich hätte es nicht getan. Ich neige nicht zu der Angewohnheit, meine Werkzeuge zu zerstören, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben. Kapitän Scroyle und die Freistaat Eden sind eine Ausnahme, die ich tief bedaure… Im Gegensatz zu Warden Dios unterlaufen mir Irrtümer, wenn ich die Quantenmechanik der Ereignisse zu steuern versuche.
    Davies Hyland jr. hat mir beträchtliche Unannehmlichkeiten verursacht. Leider könnte ich ihn nicht einmal verklagen, wenn ich es wollte. Davor ist er sicher, geschützt durch die Immunität, mit der ihn die Verleihung der Tapferkeitsmedaille ausstattet.
    …daher gezwungen, diese Aufzeichnungen nicht zu diktieren, sondern zu tippen. Mein Kinn ist noch nicht ausreichend verheilt, um wieder ohne Beschwerden sprechen zu können. Nicht einmal Flüssigkeit kann ich ohne akute Schmerzen schlucken.
    Schmerzen sind, stelle ich bei dieser Gelegenheit fest, eine wunderbare Konzentrationshilfe.
    »…vollständige Redlichkeit«, wahrhaftig. Ich muß gestehen, als ich in Warden Dios’ letzter Nachricht an Min Donner von seinem meiner Person geleisteten Rückhalt las, war ich überrascht – und dankbar. Immerhin gab er diese Beurteilung über jemanden ab, der ihn so gründlich mißverstanden hatte, daß er die Verwirklichung seiner innigsten Wünsche gefährdete, noch ehe sie etwas fruchteten. Heute darf ich wohl davon ausgehen, daß Warden Dios mir schließlich verziehen hat.
    Oder daß er in meinen nachfolgenden Diensten eine hinlängliche Form des Ausgleichs gesehen hat.
    Die letztgenannte Interpretation ist mir sympathischer. Sie stützt die speziellen Eigenschaften meines Egos oder meines Engagements, die bei mir als Gewissen fungieren. Dennoch glaube ich, daß die erstere Deutung näher an der Wahrheit liegt – wie ambivalent dieser Begriff auch sein mag. Ich habe ausführlich in seinen Privataufzeichnungen gelesen, die meinem Privattagebuch nicht unähnlich sind. Seine letzte Mitteilung an mich enthielt den Zugriffscode für die entsprechenden Dateien. Und das Bild, das ich mir mittlerweile anhand dieser Unterlagen von ihm machen kann, demütigt mich in mancherlei Beziehung, die mir nicht behagt, ohne daß ich dem abzuhelfen wüßte… … enthüllen seine Notizen ihn als Menschen, der mit sich selbst so schonungslos ins Gericht geht, daß er überhaupt niemand anderes verurteilt. Buchstäblich niemanden, nicht einmal den Lindwurm in seiner Höhle.
    Er mißt dem Drachen keine Schuld zu. Statt dessen betrachtet er es als eigene Schuld, die wahre, innere Natur des Drachen nicht durchschaut und es versäumt zu haben, sie rechtzeitig zu bekämpfen. Er machte sich die Naivität oder das Mißverständnis zum Vorwurf, das ihm zuletzt keinen anderen Weg ließ, als zwecks Korrektur seiner Fehler zu Fasners Komplizen zu werden.
    Es war rücksichtslose Selbstbezichtigung, die ihn dahin nötigte, Morn Hyland und Kapitän Thermopyle in der Weise die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, wie es geschehen ist – und ihn dann dazu veranlaßte, sich mit Gewissensbissen wegen der Leiden zu martern, die er ihnen
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