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Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Titel: Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Autoren: Stephen R. Donaldson
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ihr als anregungskräftige Herausforderung.
    In Wirklichkeit hätte er es sich höchstwahrscheinlich jederzeit während des vergangenen halben Jahrhunderts leisten dürfen, ihr den Tod zu gönnen. Es machte ihm Spaß, mit seiner Mutter zu plaudern; zudem zog er aus ihren Ratschlägen Vorteile. Doch in Wahrheit hätte er sich durchaus ohne sie zurechtgefunden. Er hielt Norna Fasner am Leben, gerade weil sie ihm mit so beharrlicher Bosheit das Schlimmste wünschte; gleichzeitig bereitete ihre vollständige Hilflosigkeit ihm diebisches Vergnügen. Und sein letzter Grund lautete, daß sie zu seiner Wachsamkeit beitrug. Ohne sie hätte er dazu geneigt, die eigene Sterblichkeit zu vergessen.
    Aber Menschen, die ihre Sterblichkeit vergaßen, unterliefen Fehler. Holt Fasner hatte seine Erfolge mit Blut bezahlt, wenngleich meistens mit fremden Blut; und heute, da er die Früchte des Erfolgs erntete, wollte er sie nicht durch Fehler gefährden.
    Deshalb stattete er kurz vor dem Abflug der Posaune seiner Mutter einen Besuch ab. Es bestanden Risiken; kleine Risiken, die sich jedoch jeden Moment auswachsen mochten. Für sich gesehen, waren Angus Thermopyle, Milos Taverner, Nick Succorso und Morn Hyland nicht mehr als drei Männer und eine Frau; Bauern auf dem Schachbrett der weitgespannteren politischen Umtriebe und noch großmächtigeren Träume Holt Fasners. Doch im Zusammenhang mit Kassafort und den Amnion war es denkbar, daß eine brisante Mischung entstand, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließ; ähnlich wie ein kleiner thermonuklearer Meiler, der eine Havarie und dadurch für Jahrhunderte die Unbewohnbarkeit der ganzen Umgebung zur Folge hatte.
    Selbstverständlich oblag die Leitung der Aktion dem Chef der Vereinigte-Montan-Kombinate-Polizei, Warden Dios persönlich. Er trug das Risiko, nicht Holt; falls negative Konsequenzen auftraten, mußte Dios sie beheben. Allerdings lag Holt an guten Resultaten der VMKP genausoviel wie am Gedeihen der Vereinigten Montan-Kombinate als Ganzes. Hätte er die Risiken als zu groß erachtet, wäre es seinerseits nicht erlaubt worden, sie einzugehen.
    In diesem Fall hatte er keine Einwände gehabt.
    Doch ebensowenig verzichtete er darauf, sich mit der Situation zu befassen. Anstatt nachträglich so zu tun, als wäre er klüger als Warden Dios, der sich fast drei Jahrzehnte hindurch als die starke Rechte des Drachens bewährt hatte, ging Holt Fasner zu seiner Mutter Norna, um mit ihr zu reden.
    Der Raum, in dem er sie lebendig begraben hatte, befand sich in den abgelegenen Bereichen der Konzern-Generaldirektion, einem Teil der Orbitalstation, in den niemand außer Männern und Frauen mit ganz speziellen Sonderausweisen sich wagen durften. Wie üblich, wenn die Ärzte Norna Fasner gerade nicht untersuchten, erzeugten die einzige Helligkeit in dem hohen, keimfreien Pflegezimmer die rund zwanzig TV-Apparate, die ihr gegenüber nahezu die gesamte Wand füllten. Das Zwielicht beruhte auf ihrer eigenen Entscheidung. Die geringe Kraft, über die ihre Finger noch verfügten, langte hin, um Tasten zu betätigen, die die Beleuchtung dimmten, Nornas Liegehaltung veränderten, das Pflegepersonal verständigten und sogar die Fernsehgeräte ausschalteten. Holt gestand ihr diese Freiheit zu, weil er darauf baute, daß sie davon den richtigen Gebrauch machte.
    Ihr im grellbunten Flackern der Bildschirme in schroffer Häßlichkeit erkennbares Gesicht sah aus, als wäre der Kopf einer Mumie bemalt worden, um unter UV-Licht einen Horroreffekt zu bewirken. Unablässig kauten ihre dünnen Lippen und der zahnlose Gaumen Speisen, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gekostet hatte. In gewissen Zeitabständen seiberte sie achtlos vor sich hin; das Gespinst ihrer Runzeln sammelte den Speichel auf dem Kinn zu einer glänzenden feuchten Schicht. Sie hob nicht den Blick, als ihr Sohn eintrat; ununterbrochen ruckten ihre Augen hin und her, beobachteten die Geschehnisse auf den TV-Apparaten, als ob sie alles gleichzeitig wahrnehmen und verstehen könnte.
    Ständiges Stimmenraunen und Musikgedudel drangen aus den Geräten, ein halblauter, ununterscheidbar verworrener, mit wenigstens einem halben Dutzend Arten Musik vermischter Widerstreit diversen Gebrabbels – eine Geräuschkulisse, die in ihrer Unerfreulichkeit und Nervigkeit dem Lärmen eines Badestrandpöbels ähnelte, allerdings so verschwommen und scheinbar fernab klang, daß es ebensogut ein unterirdisches Rumoren von Felsgestein oder das trostlose Grollen
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