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Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht

Titel: Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Autoren: Stephen R. Donaldson
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einer Meeresbrandung hätte sein können. Holt mußte bei diesen Tönen die Zähne zusammenbeißen; manchmal hatte er den Eindruck, sie trübten ihm das Gehirn. Unwillkürlich befiel ihn das Gefühl, in der baulichen Struktur der Orbitalstation könnte etwas aus den Fugen geraten sein.
    Aber erfahrungsgemäß wußte er, daß Norna sowohl die Stimmen wie auch die Bilder in ihrer Verschiedenartigkeit erkannte und alle Vorgänge begriff.
    »Hallo, Mütterchen«, begrüßte er sie mit gespielter Herzlichkeit, teils aus Gewohnheit, teils weil er irgend etwas tun mußte, um den Eindrücken der unausgesetzten Berieselung entgegenzuwirken. »Gut siehst du aus. Besser denn je. Ich glaube, du kannst bald wieder aus dem Bett hüpfen. Jedenfalls könnte ich in der Firmenleitung deine Unterstützung gebrauchen. Wie geht’s dir? Was sagen die Ärzte?«
    Wie jedesmal begegnete sie seinem Geplapper mit Mißachtung. Die Weise, wie ihr Blick über die TV-Apparate huschte, erinnerte Holt an ein Huhn, das steinigen Untergrund nach einem Körnchen Nahrung absuchte.
    Für einen Moment sah er sich selbst den Wirrwarr der Sendungen an, aber für ihn blieben sie ohne Ausnahme belanglos. Sie boten den typischen Querschnitt: ein Halbdutzend Nachrichtenmagazine, die allesamt den Zuschauern das Dasein umdeuteten, alle die gleichen Schlußfolgerungen präsentierten; drei oder vier Sportspektakel, die in unterschiedlichen Graden der Simulation Akte extremer Gewalttätigkeit zeigten; vier oder fünf vorgeblich humoristische oder satirische Serien, von denen jede den Eindruck erweckte, immerzu die gleichen Ulks zu wiederholen; und ein halbes Dutzend Romanzen – »Also wirklich, Mutter, in deinem Alter, schämst du dich nicht?« –, die in der geistlosen, quasi himmlischen Wonne schwelgten, die auf der KombiMontan-Station Morn Hyland und Nick Succorso zueinandergetrieben haben mußte. Mit solchem Schund und Kitsch lullte man die Menschenmassen ein – bis zu einem der seltenen Anlässe, bei denen sie plötzlich aufwachten und merkten, was ringsum tatsächlich an Problematischem geschah, es mißverstanden und den Politikern, die sie normalerweise führten, die dümmste sämtlicher möglichen Lösungen aufzwangen. Dafür war der sogenannte Aufstand der Menschheit ein eklatantes Beispiel. Während der übrigen Zeit erfüllte die Art und Weise, wie man die Welt auf den Mattscheiben darstellte, ihren Zweck wirksam genug. Aber Holt gewann dem Fernsehen überhaupt nichts ab.
    Zum x-ten Mal fragte er sich, was es wohl seiner Mutter bedeuten mochte. Ersah sie daraus etwas, das ihm entging? Hoffte sie einfach auf die Meldung, ihn hätte irgendeine Katastrophe ereilt? Oder war sie dazu imstande, aus all dem Rummel geheime Erkenntnisse zu beziehen? Irgendwelche Einsichten, die er trotz seiner umfangreichen Hilfsmittel nicht erlangte?
    Diese Fragen verliehen den Besuchen bei seiner Mutter einen ganz besonders pikanten Reiz.
    Was könnte ihm je entgangen sein? Offenbar wenig, denn er hatte seine Befähigung unter Beweis gestellt, sogar aus Zeiten zu profitieren – und zwar in enormem Maßstab –, in denen die Milliardenmassen der Menschheit über die Stränge schlugen und ihre Führer mit unvernünftigen Forderungen bedrängten. Noch heute mußte er lachen, wenn er an den Aufstand der Menschheit dachte. Man stelle sich einmal vor – der Bedrohung durch die Amnion entgegentreten zu sollen, ohne ihren Kenntnissen gleichwertiges genetisches Fachwissen zu haben! Und doch hatte der bei den Menschen stattgefundene Ausbruch des Widerwillens gegen genetische Experimente letzten Endes die Intertech ihm in die Hände gespielt. Die Übernahme der Intertech wiederum hatte ihm den Weg zum ersten Kontakt mit den Amnion geebnet; und infolgedessen war er wie durch unausweichliche Logik in seine gegenwärtige Position als Schicksalslenker des ganzen Menschengeschlechts aufgestiegen.
    Falls irgend jemand im Laufe der Menschheitsgeschichte von sich behaupten konnte, kaum eine Gelegenheit verpaßt zu haben, dann war Holt Fasner diese Person. Dennoch ließ er die Frage offen, ob er etwas übersah, und seine Mutter am Leben, um von vornherein dagegen vorzubeugen, daß er irgendwann doch etwas versäumte.
    Im Alter von einhundertundfünfzig Jahren lebte er in beinahe prächtiger Verfassung, war er unter rein physischen Gesichtspunkten sozusagen noch in mittleren Jahren. Doch seine Wangen hatten eine etwas zu dunkle Rötung. Ein wenig zu oft mußte er zwinkern, um einen Schleier
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