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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition)
Autoren: Rafael Chirbes
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Schamlosigkeit ich nicht ertrage? Ein missgebildetes Tier, ein monströser Pfropfreis, denn dazu gehörte weiterhin sie, aber nicht mehr ich. So viele Jahre sind vergangen, und immer noch wehre ich das Bild der Teile ab, die sich gut geschmiert verstopseln, ich ertrage nicht das mir so gut bekannte Spiel der Kolben, bei dem, wie bei einem Motor, den man zur Werkstatt bringt, ein Teil durch ein anderes ersetzt worden ist. Waren sie ineinander verliebt, was letztlich dasselbe bedeutet? War da Zärtlichkeit, Freundschaft, Kameraderie? Begehrten sie einander? Die Frage, die am meisten wehtut: Begehrten sie sich bis zum Schluss, sie krank und er in sie eindringend, auf und ab über ihr, bisdie Frau sich nicht mehr rühren konnte? (Ich lese in der Zeitung, dass man in Ägypten den letzten sexuellen Kontakt des Mannes mit seiner Ehefrau, wenn die schon eine Leiche ist, legalisieren will, eine makabre Art des Abschiednehmens.) Oder bestand ihre Zweisamkeit vor allem darin, gemeinsame Strategien, Geschäfte und Bankkonten zu betreiben? Das ist nicht mehr zu erfahren. Es gehört zu dem, was ich nicht weiß und auch nicht mehr wissen werde, ebenso wie die Namen, die ich auf dem Weg verloren habe, was mir bei Morgengrauen solche albernen Beklemmungen beschert, die Beklemmung, zu wissen, dass ich, wenn ich es auch noch so sehr wollte, nicht mehr die fünfzigjährige Liliana sehen, nicht ihre künftige Stimme hören werde. Meine nächtliche Apnoe. Die Rückkehr in den Wachzustand, ein ausgestreckter Arm
in extremis
, um dich aus der Grube zu holen, in die du zu fallen drohtest. Mein erschrecktes Aufwachen. Mitten in der Nacht sucht mich wieder das Bild der verschränkten beiden heim, ein einziger Leib, und ich glaube zu ersticken. Eine weitere Nacht. Ich richte mich im Bett auf, taste blind nach dem Lichtschalter, mich überschwemmt das, was durch den Spalt der Schottentür meines Gedächtnisses dringt, der Speicher dessen, was war und im Verschwinden begriffen ist. Nur das Schmerzhafte scheint zum Bleiben ausersehen. Irgendwo habe ich gelesen, dass der Ursprung des Kreuzes die Darstellung des Sexualakts ist. Die horizontale Linie ist die Frau, die vertikale der Mann, der sie nagelt. Das Kreuz, das wir beide eine Zeit lang bildeten. Leonor und ich. Das Kreuz, das mich an Olba nagelte, oder das, so glaubte ich mit den Jahren, die Ausrede war, die mich in Olba festnagelte. Lebten sie vereint im Kreuz so wie wir in jenen Monaten unserer Jugend? Wenn das bei ihnen funktionierte, dann funktionierte auch alles Übrige, die überwältigende Kraft des Sexus, obwohl, das stimmt nicht, bei uns stimmte das nicht. Sie hat immer etwas mehr angestrebt. Damals habe ich das nicht begriffen. Sicher ist es das – die Lebensfülle des Kreuzes –, was Francisco ausdrücken will, wenn er von ihr spricht, das soll ich glauben, aber was er mirzu diesem Zeitpunkt erzählen kann, nützt mir nichts. Die Spur ihrer Zähne am Hals, der Drillbohrer ihrer Zunge im Ohr, die Nägel im Rückenfleisch, das Trommeln ihrer Fersen auf meinem Gesäß. Das heisere Wimmern, das Röcheln. Diese Geschichte gehört mir. Die habe ich exklusiv. Es war so und war dann nicht mehr. Was mir Francisco erzählen kann, bleibt eine verstümmelte, eigennützige Geschichte. Ich müsste den Teil wissen, den er verschweigt, nicht gesehen hat, nicht sehen will oder nicht erkennen konnte. So wie ich nicht erkennen konnte, was uns plötzlich auseinanderbrachte. Sehen mit den Augen, die ihn angeschaut haben – jenen Augen, die zuvor mich angeblickt hatten, die ich offen sah, während ich in ihr wühlte –, in der heimlichen Hoffnung, der Erinnerung an eine Geschichte auf die Spur zu kommen, die nicht einmal unglücklich war (das hätte ihr eine gewisse Noblesse verliehen), sondern einfach nur gewöhnlich. Das ist mein Balsam. Doch diese anderen Augen gibt es nicht mehr, sie sind Dunkelheit. Und ich kann nicht zurückholen, was sie in mir gesehen haben. Aber du hast doch gesagt, dass du mich liebst. Leonor lachte: Beim Vögeln sagt man alles Mögliche. Das gehört zum Spiel. Wir spielen Karten, Tute, Brisca, und Domino. Und wenn Francisco sie aus irgendeinem Grund erwähnt, vibriert kein Nerv, keine Emotion zeichnet sich ab, ich bleibe kalt, ein Fischrücken, ein Reptilpanzer, aber ich sehe sie wieder so, wie ich sie auch jetzt sehe, während ich über die weichen Gräser gehe, der Boden feucht, schwammig, reichlich begossen von den herbstlichen Regenfällen (vor ein paar Wochen hat es
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