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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
Autoren: Judith Butler
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Rückkehrrechts dient, führt das Rückkehrergesetz nach wie vor zur Erzeugung einer Klasse Staatenloser und untergräbt damit seine eigene Legitimationsbasis. Es scheint zwar auf dem Recht der Flüchtlinge zu gründen, aber es annulliert faktisch eben dieses Recht. Das bedeutet, dass das Rückkehrergesetz, das Flüchtlingsrechte sichern soll, aktiv Flüchtlingsrechte verweigert. Hannah Arendt hat das gewiss gesehen; als sie sich gegen die Schaffung Israels als Nationalstaat für das jüdische Volk wandte, sagte sie vorher, dass dies nur zu einer neuen Bevölkerung Staatenloser und damit zu einem jahrzehntelangen Konflikt führen konnte. 195
    Daraus folgt also, dass Flüchtlingsrechte immer so auszuüben sind, dass die Rechte der Flüchtlinge dadurch nicht verleugnet werden. Die politische Frage, die sich hier stellt, ist mit der Regelung des Rechtsstatus und der Ansprüche der Palästinenser in der Diaspora von 1948 oder 1967 oder für diejenigen, die 1982 aus Beirut vertrieben wurden oder die durch das Oslo-Abkommen von 1993 weiter enteignet wurden oder für diejenigen, die auch nach Jahrzehnten noch in Flüchtlingslagern in der Region leben, nicht vollständig beantwortet. Das Rückkehrrecht sieht rechtlich geregelte Entschädigungen und Anerkennung sowie Wiederansiedelungsrechte vor. Mir ist klar, dass dieses Wort – Wiederansiedelung – für viele nach einer Einstaatenlösung klingt. Tatsächlich gibt es Ein- und Zweistaatenmöglichkeiten für das Rückkehrrecht. Der Gegensatz basiert auf Befürchtungen derjenigen, die Angst vor dem Verlust der demografischen Mehrheit der Juden in Israel und vor einem folgenden faktischen Binationalismus haben. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich ein jüdischer Staat nur durch demografische Überlegenheit bewahren lässt, auch wenn man getrost annehmen kann, dass bestimmte Formen des Judentums sich durchaus gegen jede Dominanz dieser Art wenden würden; diese Versionen des Judentums würden zweifellos als anti-israelisch verworfen werden, und es stimmt wohl, dass sie nichtzionistisch sind. Das ist hier aber weniger wichtig als andere Antworten. Die erste davon ist normativ: Kein demokratisches Gemeinwesen hat das Recht, für die demografische Überlegenheit einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe zu sorgen. Die zweite ist strategisch: Der Verlust der demografischen Überlegenheit der jüdischen Bevölkerung in Israel würde mit Sicherheit die Aussichten für die Demokratie in dieser Region verbessern. Meine dritte Antwort ist deskriptiv: Es gibt faktisch bereits Formen des Binationalismus, und zwar ausgesprochen klägliche (genau wie es weitere Landverteilungen gibt, die ganz offenkundig ungerecht sind). Die verwerflichen Formen des Binationalismus können wir im militarisierten Ostjerusalem beobachten, wo Palästinenser ihre Häuser gegen die Inbesitznahme durch rechte Israelis verteidigen müssen, die sich auf jüdische Ansprüche auf palästinensische Grundstücke berufen – zum Teil seit über hundert Jahren in palästinensischem Besitz – und die dabei in vielen Fällen von israelischen Gerichten unterstützt und von der israelischen Polizei geschützt werden. 196
    Verwerfliche Formen des Binationalismus finden sich auch in den perversen wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen den Siedlungen im Westjordanland und den palästinensischen Arbeitern, die zu anderen Arbeitsplätzen nicht gelangen können und die Siedlungen mit Gütern und Dienstleistungen versorgen. Dieser Austausch zwischen Palästinensern und Israelis als Form des Binationalismus ist zutiefst paradox, denn hier handelt es sich kaum um eine gewählte und beabsichtigte Zusammenarbeit, wie man sie sporadisch in Budrus und Bil’in und anderen Orten entlang des Grenzzauns findet, wo israelische Anarchisten und Palästinenser sich gegen die israelische Militärmacht zur Wehr setzen. Solche unterstützenswerten Bündnisse sind gegenüber den verwerflichen Formen des Binationalismus klar marginal. Eine dritte Form des unakzeptablen Binationalismus besteht für Palästinenser, die nominell oder teilweise Bürger des Staates Israel sind, deren Aussichten auf Beschäftigung, Wohnung, Bildung und Bewegungsfreiheit jedoch zunehmend eingeschränkt werden. 197 Nach Samera Esmeir ist Israel nie ein jüdischer Staat gewesen; er hat – durch Unterwerfung – immer auch Nicht-Juden, christliche und muslimische Palästinenser, Drusen und Beduinen eingeschlossen, und in Jerusalem haben immer zahlreiche
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