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Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)

Titel: Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
Autoren: Judith Butler
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Produktion und das existenzielle Überleben. Im zweiten Teil dieses Kapitels will ich mithilfe von Mahmoud Darwish zu verstehen suchen, welche Zukunft Edward Said im Auge hatte, insbesondere in seinen letzten Überlegungen zum Binationalismus. Festzuhalten ist, dass der Binationalismus sowohl für Said wie in meiner eigenen Argumentation nicht in eine Zweistaatenlösung mündet, sondern in einen einzigen Staat, einen Staat ohne jede Diskriminierung auf der Basis von Ethnizität, Rasse und Religion. Bedenken wir also mit aller Sorgfalt, was Bevölkerung, Nation und Staat hier heißen kann.
    Zunächst möchte ich jedoch bemerken, dass wir angesichts der Tatsache, dass es in allen Überlegungen zur palästinensischen Nation um die Rechte der Palästinenser in der Diaspora geht, gehalten sind, in der Idee der Nation Palästina diese Diaspora oder, wie es oft heißt, al-manfa oder das Exilmitzudenken. 193 Said ist immer wieder darauf zurückgekommen. 194 Das Rückkehrrecht impliziert dabei nicht die Überführung jedes diasporischen Zustandes in einen nationalen, sondern vielmehr, dass aus der Diaspora als Bevölkerungszerstreuung – al shattat – Grundsätze für ein mögliches künftiges Gemeinwesen abgeleitet werden. Nach meinem Verständnis impliziert manfa ein erzwungenes Exil als freiwillige oder unfreiwillige Reaktion auf harte Bedingungen. Shattat ist die Diaspora im Sinne der Zerstreuung, gleichfalls überwiegend erzwungen, aber nicht immer. Gibt es nun aus der Diaspora hergeleitete politische Grundsätze in Verbindung mit Flüchtlingsstatus und Vertreibung, die hier klargestellt werden müssen? Wenn wir das Rückkehrrecht als nationale Gunst verstehen, bleibt dann im Nationalen noch ein diasporisches Moment bestehen oder muss es als innere Kritik des Nationalen oder als dessen innere Beschränkung und Sicherung bestehen bleiben? Anders gesagt: Wenn die Diaspora bestimmte Perspektiven zum Flüchtlingsstatus eröffnet, auf Lebensweisen über zeitliche und räumliche Entfernungen hinweg, Trauerpraktiken, kulturelle Übertragungswege einschließlich Literatur, Musik, Film und bildende Künste, Gedächtnis- und Bündnisformen unter Umständen der Zerstreuung und des Eingeschlossenseins – dann können wir fragen, wie sich die aus der Diaspora entstehenden politischen Ansprüche auf Ideen der Nation und des Nationalen auswirken.
    Wie sähe das Nationale aus, wenn es von den vorrangigen Rechten der Flüchtlinge her gedacht wird? Und in Anbetracht der israelischen Auslegung dieses Rechts in seinem eigenen Rückkehrergesetz sowie in der Gründung des Staates Israel als Zufluchtsstätte für alle Juden nach der heutigen rabbinischen und rechtlichen Definition ist es erst recht geboten, zu einem Verständnis der Flüchtlingsrechte zu kommen, das nicht Vertreibungen eines Volkes von seinem Land rechtfertigt. Tatsächlich bestand einer der massivsten und folgenreichsten Widersprüche in der israelischen Staatsgründung darin, dass der Staat auf der Grundlage des Rechts von Flüchtlingen gegründet wurde, hier Zuflucht nach der Zwangsvertreibung aus Europa zu finden, was umgekehrt und ohne Berufungsmöglichkeit auf das gleiche Recht zur Zwangsvertreibung der Palästinenser von ihrem Land geführt hat. Daher stellt sich in Bezug auf die Flüchtlingsrechte schlicht die Frage: Wie sind Flüchtlingsrechte in Bezug auf Rechte gegen Zwangsenteignungen und Vertreibungen – Rechte, die für Minderheiten besonders wichtig sind – zu formulieren? Solche Rechte kommen Minderheiten eben dann zu, wenn sie ihren Minderheitenstatus einbüßen und staatenlos werden. Ein rechtliches und politisches Imaginäres, das beide Rechte verknüpft, ist erforderlich nicht nur zurBeschreibung und Bewertung der Nakba , sondern auch um sicherzustellen, dass eine Anerkennung von Flüchtlingsrechten nicht eine neue Klasse von Staatenlosen hervorbringt. Bis zu einer Lösung in Israel/Palästina auf dieser Grundlage ist ganz klar ein unbefristetes Moratorium für das Rückkehrergesetz erforderlich. Solange dieses Gesetz immer wieder zur Sicherung des demografischen Vorteils der jüdischen Bevölkerung instrumentalisiert wird, ist es ein offenkundig diskriminierendes und antidemokratisches Gesetz.
    Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: Solange ein Rückkehrergesetz nicht mit dem Rückkehrrecht gekoppelt wird, sollte es überhaupt kein Rückkehrergesetz geben. Anders ausgedrückt: Da das bestehende Rückkehrergesetz dem Ausschluss des
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