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Am Rande Der Schatten

Titel: Am Rande Der Schatten
Autoren: Brent Weeks
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Pirscher, aber er war fort. Als sie an diesem Abend am Rand des Waldes ihr Lager aufschlugen, um sich den Schutz der Bäume zunutze zu machen, waren nur noch vier Soldaten bei ihnen. Die Khalidori stritten darüber, ob sie in der Dunkelheit weiterziehen sollten und ob Haavin und die anderen verschwundenen Männer wirklich weggelaufen waren. Die Nacht war kurz, und Ghorran weckte Elene in der Dunkelheit vor Tagesanbruch.
    Schweigend brachte er sie in den Wald. Sie zog ihre Röcke hoch, als kümmere es sie nicht. »Wie hast du dir die Brust verletzt?«, fragte Elene.
    »Dieses wilde Miststück hat mich mit einer Mistgabel attackiert, nachdem ich ihren Mann getötet und ihre Bälger ausgeweidet hatte.« Er zuckte die Achseln, als sei es ein Augenblick der Unachtsamkeit gewesen, peinlich, aber nichts Ernstes.
    Für Ghorran hatte das Ausweiden von Kindern keine besondere Bedeutung. Er hatte Elene wehgetan und sie beschämt; das konnte sie verzeihen. Aber dieses geringschätzige Achselzucken entfachte den kleinen Funken Zorn in ihrem Herzen. Zum ersten Mal in ihrem Leben seit Ratte hasste Elene.
    Ghorran hatte einen Bogen mitgenommen, und jetzt spannte er ihn. »Wenn wir heute unser Lager aufschlagen«, sagte er, »wird Neph Dada dir schreckliche Dinge antun.« Ghorran leckte sich die trockenen Lippen. »Ich kann dich retten.«
    »Mich retten?«

    »Was er tut, sollte nicht getan werden. Es ist lodricarische Widerwärtigkeit. Wenn du jetzt wegläufst, werde ich dir einen Pfeil in den Rücken schießen und dich verschonen.«
    Seine Barmherzigkeit war so bizarr, dass Elenes Hass sich auflöste.
    Fünfzig Schritt hinter ihnen brach ein Lichtblitz aus dem Lager und warf Schatten gegen die Bäume. Ein Schrei folgte. Dann das Geräusch galoppierender Pferde.
    Elene drehte sich um und sah ein Dutzend fremder khalidorischer Reiter von Norden ins Lager stürmen. Sie waren früher gekommen, um ihre Sklaven einzusammeln.
    »Lauf!«, erscholl ein Ruf, lauter, als ein Mann zu schreien hätte imstande sein sollen.
    Durch die Bäume sah Elene den ymmurischen Pirscher mit den Khalidori kämpfen. Zwei von ihnen fällte er mit einer einzigen Bewegung. Feuer züngelte aus den Händen eines der Reiter, aber der Ymmuri wich dem Feuer aus.
    Ghorran legte einen Pfeil an die Sehne und zog ihn zurück, aber zwischen ihm und dem Ymmuri waren zu viele Bäume und Khalidori. Dann kam, nur wenige Schritt entfernt, der kleine Herrald aus dem Wald geschossen und rannte davon.
    Ghorran drehte sich um und fasste sein neues Ziel ins Auge.
    Alles, was Elene dachte, war: Nein.
    Sie riss Ghorran den Dolch aus dem Gürtel, brachte ihn über seinen Arm und rammte ihn in seine Kehle. Er zuckte krampfartig, und der Pfeil sprang aus dem Bogen und sirrte, ohne Schaden anzurichten, über Herralds Kopf.
    Der Bogen entfiel Ghorrans Fingern, und er und Elene sahen einander an; seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Der Dolch steckte in der Mitte seiner Kehle, und die breite Klinge blockierte seine Luftröhre. Er atmete aus,
seine Brust spannte sich an, und Luft pfiff. Dann legte er eine Hand an die Kehle und tastete nach der Klinge, immer noch ungläubig.
    Dann versuchte er einzuatmen. Sein Zwerchfell pumpte wie ein Blasebalg, aber er bekam keine Luft. Er fiel auf die Knie. Elene konnte sich nicht bewegen.
    Ghorran riss den Dolch aus seiner Kehle und keuchte, aber das Keuchen verwandelte sich in ein Röcheln. Er hustete, und Blut bespritzte Elene.
    Er versuchte weiterzuatmen, während seine Lunge sich mit Blut füllte. Binnen Augenblicken fiel er auf den Waldboden.
    Trotz des Bluts auf ihrem Gesicht, ihrem Kleid und ihren Händen, trotz des mitleiderregenden Ausdrucks auf Ghorrans Gesicht und des Grauens, einen Menschen sterben zu sehen, tat es Elene nicht leid. Nur eine Minute zuvor hatte sie Ghorran gehasst, aber sie hatte ihn nicht aus Hass getötet. Er musste einfach aufgehalten werden. Wenn sie den Augenblick hätte zurückhaben können, würde sie das Gleiche tun. Und mit einem Mal verstand sie.
    »Mein Gott, was für eine Närrin ich gewesen bin«, sagte sie laut. »Vergib mir, Kylar.«
    Während im Wald hinter ihr Magie explodierte und die Bäume in Brand setzte, begann Elene zu rennen.
     
     
    Am Nordende der Insel Vos stand Kylar in der Düsternis des verregneten Herbsttages und starrte auf den ungezeichneten Steinhügel, den er errichtet hatte. Durzos Grab.
    Kylar war mit Blut bespritzt, und seine grauen Blutjungenroben waren von Magie versengt.
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