Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer
Autoren: Hiromi Kawakami
Vom Netzwerk:
den Express war ich eigens in die tiefer gelegene Einkaufspassage hinuntergegangen, um sie zu kaufen. Momo hatte diese salzigen Innereien schon als Kind gern gemocht. Wie mein Mann. Aber ich esse sie auch gern, also kann ich nicht sagen, wem sie darin ähnelt.
    Meine Mutter war einkaufen. Der Geruch, der mir beim Öffnen der Tür sogleich entgegenschlug, war ein bisschen anders als sonst. Es roch mehr nach Küche. Ich fragte Momo,was sie in der Schule mitgehabt habe. Sie überlegte kurz und antwortete: »Hähnchen, es war süßlich.«
    Ich ging in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Der graue Rock, den ich gestern eigentlich anziehen wollte, lag noch auf dem Bett, wo ich ihn hingeworfen hatte, nachdem ich mich dagegen entschieden hatte. Ich hängte den Rock auf. Die Luft im Zimmer entspannte sich allmählich. Nur einen einzigen Tag lang hatte niemand es betreten, und schon hatte die Luft darin ihre Weichheit verloren.
    Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, saß Momo vor einer aufgeschlagenen Zeitschrift. »Ob ich mir die Haare abschneiden lassen soll?«, murmelte sie.
    »Würde dir sicher gut stehen«, sagte ich, doch sogleich verfiel sie wieder in mürrisches Schweigen. »Heute Abend gibt es Eintopf«, sagte sie nach einer Weile. Seit wann gab es diese Distanz zwischen uns? Nicht, dass sie mir fremd geworden war, aber nah war sie mir auch nicht.
    Bevor Momo einen Monat alt war, hatte ich sie nicht in der Badewanne, sondern in einer Metallschüssel mit warmem Wasser gewaschen, die ich auf den abgeräumten Esstisch stellte.
    Mit der gespreizten linken Hand ihr Köpfchen stützend, legte ich sie rücklings ins Wasser. Durch den Auftrieb war sie ganz leicht.
    Anfangs war sie mager und schrumplig, aber innerhalb von zwei Wochen nahm sie sichtbar zu. An ihren Handgelenken und Knöcheln und auch an anderen Gelenken bildeten sich tiefe Falten, in denen sich die tote Haut sammelte, die bei der Entstehung neuer Schichten abgestoßen wurde. Es dauerte jeweils nur einen Tag, bis die kleinen Würste sich gesammelt hatten. Sie sahen aus wie die, die beim Radieren entstehen, nur, dass sie schneeweiß und geruchlos waren. Sie bildeten sich endlos.
    Beim Baden entfernte ich sie säuberlich. Momo lag mit halb geschlossenen Augen da. Manchmal schlief sie sogar ein. Nur beim Kopfwaschen verzog sie das Gesicht und schrie.
    Sobald ich sie aus dem Wasser hob, bekam sie wieder Gewicht. Ich legte sie auf das ausgebreitete Badetuch und trocknete sie ab. Anschließend entblößte ich meine Brust und stillte sie. Sie trank geräuschvoll, offenbar hatte sie Hunger.
    Eigentlich verspürte ich dabei keine besondere Rührung, sondern empfand ihre heißen Lippen sogar als unangenehm. So erfuhr ich, dass »Unbehagen« und »Liebe« einander nicht ausschlossen. Einen männlichen Körper hatte ich nie als so unangenehm gefunden. Der Körper eines Mannes, meines Mannes, war für mich vor allem eine Notwendigkeit. Momo brauchte ich nicht, aber ich liebte sie.
    Was in Momo vorging, wusste ich nicht. Sie war ein Wesen, das hauptsächlich schrie. Wie es Säuglinge eben tun.
    Man nennt es Geisterlächeln, wenn ein weniger als zwei Wochen altes Baby lächelt, denn es lächele nicht selbst, so heißt es, sondern ein Geist bringe es dazu.
    Momo lächelte oft. Natürlich wusste ich nicht, was sie dazu bewegte. Die Entbindung lag noch nicht so lange zurück, dass ich sie als eigenständiges Wesen betrachtet hätte. Aber als Teil meiner selbst empfand ich sie auch nicht, eher als meinen Besitz. Ich durfte diesem Kind keinerlei Schaden zufügen, es durfte ihm nichts geschehen. Es war äußerst kostbar für mich. Es fühlte sich irgendwie anders an als Mutterliebe.
    Ich hatte damals keine Lust auf einen Mann - meinen Mann. Denn Momo gab mir genug Hitze. Als ich sie stillte, hatte ich kein körperliches Verlangen. Mein Mann war nicht wichtig. Und doch, obwohl er nicht wichtig war, liebte ich ihn. Wenn er nachts zu mir kam, empfing ich ihn heiter auf der Oberfläche meines Körpers. Ich hatte immer gedacht, Körper und Geist seien etwas Getrenntes. Aber in Wahrheit gab es nur den Körper. Der Geist war lediglich ein Teil von ihm.
    Mit der Zeit verlor sich die Hitze, die Momo abstrahlte, und ihre Haut wurde kühler. Zunehmend entwickelte sie eine individuelle Gestalt. Ich entwöhnte sie, sie lernte laufen, dann sprechen.
    »Nächsten Mittwoch ist Elternabend«, sagte Momo. Als ich, während ich mir das Haar zusammenband, das Wohnzimmer betrat, wollte sie sich gerade in ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher