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Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Titel: Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
Autoren: Regina Mengel
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Gibt es noch mehr von eurer Sorte? Und was ist mit Papa und mir?“
    „Dein Vater ist ein normaler Mensch und du hast, soweit wir das bisher feststellen konnten, die Fähigkeiten deiner Mutter nicht geerbt.“
    „Was denn für Fähigkeiten?“
    „Bitte beruhige dich. Am besten, ich erzähle es dir von Anfang an. Es gibt neben deiner Mutter und mir noch einige andere Familienmitglieder. Theoretisch sterben wir nicht, wir sind keine Menschen. Dennoch kommt manchmal einer von uns um. Das sage ich nur, damit du dich nicht wunderst, warum deine Großeltern nicht mehr leben.“
    Er hielt einen Augenblick inne, ehe er fortfuhr:
    „Wir waren zu viert. Ich bin das älteste Kind. Meine Eltern nannten mich Schicksal und damit stand meine Aufgabe fest. Kurz nach meiner Geburt kamen meine Schwester Irgendwer und mein Bruder Niemand auf die Welt. Auch diese beiden repräsentieren das, was ihr Name bedeutet. Wobei in ihrem Fall die Namenswahl meiner Eltern in die Hose ging. Sie nutzten der Menschheit nicht, sondern brachten nur Unzufriedenheit in die Welt. Niemand fühlte sich für Dinge verantwortlich oder nahm die Schuld auf sich. Sollte Irgendwer eine Aufgabe erledigen, fühlte sich Niemand angesprochen und damit war wiederum Niemand bereit, sich an die Arbeit zu machen. Die Symbiose meiner Geschwister hätte die Welt beinahe ins Chaos gestürzt.“
    Schicksal lachte trocken.
    „Zum Glück bekam zur gleichen Zeit die Schwester meiner Mutter ebenfalls zwei Kinder, ein Zwillingspärchen. Sie nannten sie Glück und Übel. Diese beiden sind dafür zuständig, die Welt und die Menschheit im Gleichgewicht zu halten. Glück und Übel schafften die Probleme, die Niemand und Irgendwer in die Welt setzten, zwar nicht ab, doch sie milderten sie. Für die Menschen bestand keine Gefahr mehr, die Auswirkungen dieser Namensfehlentscheidung jedoch spürt man bis heute. Die Jahrhunderte verstrichen und ich brachte den Menschen das Schicksal. Eines Tages kam eine Frau auf den Gedanken, ihr Schicksal anzuzweifeln.“
    Schicksal runzelte die Stirn. Sein Blick ging ins Leere. Dann zwinkerte er Patrick zu.
    „Weißt du, die Frauen bringen uns noch den Rand der Welt. Sie zweifeln alles an. Diese dauernde Nörgelei, deshalb lebe ich allein. Was stören mich schmutzige Ecken oder Geschirrberge. Wenn ich eine Tasse brauche, spüle ich sie mir.“
    Patrick unterbrach seinen Onkel.
    „Das interessiert mich jetzt nicht.“
    „Verzeihung. Wo war ich stehen geblieben?“
    „Eine Frau zweifelte ihr Schicksal an.“
    „Richtig.“ Schicksal nickte. „Diese Frau verbreitete die Meinung, das Schicksal wäre lediglich eine Art Entschuldigung dafür, das eigene Leben nicht in die Hand zu nehmen. Leider glaubten ihr immer mehr Menschen. Schließlich sprach ich mit meinen Eltern darüber. Meine Mutter erdachte eine Lösung. Sie setzte ein weiteres Kind in die Welt. Meine Schwester Zufall wurde geboren. Unser Nesthäkchen“, sagte er liebevoll. „Deine Mutter.“
    Er nickte Patrick zu. „Die Lösung war simpel, aber ungemein effektiv. All jene, die nicht mehr bereit waren, an das Schicksal zu glauben, nahmen automatisch an, dass es sich, bei einem für sie unvorhersehbaren Ereignis, um Zufall handeln musste. Auf diese Weise akzeptierten sie ihr Schicksal, auch wenn sie es nicht als solches bezeichneten. Ob Zufall oder Schicksal, am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus. Bis heute unterstützt mich meine kleine Schwester allein durch ihre Existenz.“
    „Scheiße“, flüsterte Patrick. Er starrte seinen Onkel an, als hätte er ihn niemals zuvor gesehen. „Und Papa weiß davon?“
    „Deiner Mutter blieb nichts anderes übrig, als ihn einzuweihen. Weißt du, sie ist ein wenig ungeschickt. Um sie herum passieren ständig komische Zufälle. Ihr Stottern kann verheerende Auswirkungen haben.“
    Susanna blickte Patrick an. Er sah aus, als kämen ihm jeden Augenblick die Tränen. Sie verstand ihn gut. Als sie von ihrer Herkunft erfahren hatte, hatte sie das gleiche Gefühl von Verlassenheit gespürt. Zuerst fühlt es sich an, dachte sie, als ob man nie eine Mutter gehabt hätte .
    „Es wird wieder besser“, flüsterte sie in sein Ohr. Plötzlich bemerkte sie, wie nah sie ihm war. In ihrer Magengrube prickelte Aufregung. Das Gefühl erinnerte an das Kribbeln im Bauch, wenn die Achterbahn in den Abgrund raste.
    Sie saß dicht bei ihm, roch seinen Duft und spürte seine Körperwärme. Sie schämte sich. Das war nicht der richtige Moment für solche Gefühle.
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