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Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)

Titel: Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
Autoren: Regina Mengel
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drei Jahren war Sarah Aschem gestorben. Wie so oft wünschte Susanna sich, sie wäre noch bei ihnen. Seit dem Tod ihrer Mutter hasste Susanna Geburtstage. An solchen Tagen feierte man das Leben. Es war so verdammt ungerecht. Was gibt es bei uns schon zu feiern?
    Mit zittrigen Fingern schaltete sie die Taschenlampe aus.

2.                   Ein verrückter Geburtstag
     
    D er gelbe Anstrich des Hauses leuchtete in der Morgensonne, als die Haustür aufschwang. Susanna trat hindurch und steuerte nebenan auf den kleinen Laden zu, vor dem Albin ächzend eine orange-weiß gestreifte Markise entrollte.
    „Guten Morgen, Geburtstagskind. Wie fühlt man sich mit dreizehn?“, fragte er mit dröhnender Stimme.
    „Toller Morgen.“
    Susanna zog eine Grimasse. Ohne zu zögern, ging sie auf die Ladentür zu. Ein geschmiedetes Schild baumelte darüber im Wind. Mit verschnörkelter Schrift verkündete es:
     
    Sarah und Albin Aschem
    Teespezialitäten.
     
    Viel brachte das Geschäft nicht ein, gerade genug, um die wichtigsten Ausgaben abzudecken. In den letzten zwei Jahren waren sie oftmals so pleite gewesen, dass es nicht einmal für ein Weihnachtsgeschenk gereicht hatte. Normalerweise beschwerte sich Susanna nicht, aber manchmal waren ihr die ärmlichen Verhältnisse vor den Mitschülern peinlich.
    Sie drückte gegen den eisernen Knauf und trat ein. Der Laden bestand nur aus zwei Räumen, einem winzigen Hinterzimmer und dem Verkaufsraum. Dieser bot gerade genug Platz für drei Regale und eine Theke. Gleich neben dem Eingang standen einige Teekisten und ein Überseekoffer.
    Susanna schloss die Tür hinter sich. Sofort umfing sie der köstliche Duft von getrockneten Teeblättern. Die Leidenschaft für alles, was sich aufgießen ließ, hatte Susanna von ihren Eltern geerbt. Als kleines Mädchen war sie nicht selten zwischen den Kisten eingeschlafen, berauscht von den Aromen. Sie liebte es dem Hauch von Vanille, Zimt oder Pfirsichblüten nachzuspüren oder in dem kräftigen Duft marokkanischer Minze zu schwelgen. Ihre Eltern hatten es nie gern gesehen, wenn Susanna sich allzu lange im Laden aufhielt. Vor allem um das Hinterzimmer veranstalten sie stets ein großes Brimborium. Bis heute war der Raum für Susanna tabu.
    Sie trat an die Tür der kleinen Kammer. Was, wenn sie einfach hineinginge? Sie schielte nach draußen, Albin kämpfte immer noch mit der Markise. Jetzt oder nie. Entschlossen drückte Susanna die Klinke hinunter. Doch die Tür gab nicht nach.
    „Mist“, fluchte sie. Was hatte sie erwartet? Albin hatte noch nie vergessen, abzuschließen. Den Schlüssel trug er immer bei sich - an einer Uhrenkette in der Hosentasche.
    Susanna betrachtete ihren Vater durch das Schaufenster. Wie er wieder herumlief, dieser verknautschte Anzug, die wirren Haare. Er sah aus, wie ein etwas zu sauberer Penner.
    Sie sah auf die Uhr. Shit . Wenn sie pünktlich zur Schule kommen wollte, musste sie sich beeilen. Sie trat an den Tresen und öffnete die silberne Kanne, um Tee aufzugießen. Gleich daneben stand eine Schale mit Plätzchen. Sie stellte den Teller zur Seite und ignorierte die Verlockung. Diese Kekse waren für sie verboten. Sie waren unter allen Umständen den Kunden vorbehalten. Natürlich hatte Susanna hin und wieder davon genascht. Aber jedes Mal hatten ihre Eltern sie gezwungen, das halb zerkaute Plätzchen wieder auszuspucken. Irgendwann hatte sie sich mit dem Verbot abgefunden.
    Das Klingeln der Türglocke verriet, dass Albin den Kampf mit der Markise gewonnen hatte.
    „Zeit fürs Frühstück“, verkündete er.
    Susanna beachtete ihn nicht.
    „Bist du zu müde, um mit mir zu sprechen?“, fragte er. Als sie schwieg, fuhr er fort: „Du warst bestimmt noch wach, als ich gestern Abend nachgesehen habe. War wohl keine gute Nacht?“
    „ Phh.“ Susanna ließ die Luft durch die Zähne zischen. Du hast doch nicht die geringste Ahnung, wie ich mich fühle, dachte sie.
    „Sei doch nicht so. Ich weiß, wie sehr du deine Mutter vermisst.“
    Er trat neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter.
    „Mir fehlt sie auch, jede Sekunde. Aber es muss weiter gehen.“ Er stockte.
    Susanna wand sich unter seinem Griff. Sie starrte auf den Fußboden und versuchte ihren Vater zu ignorieren. Dieses Gespräch hatten sie schon zu oft geführt.
    „Du bist jung, schau nach vorn. Das Leben hat so viel zu bieten“, fuhr Albin fort.
    Nun löste sich Susanna endgültig aus seinem Arm. Sie hasste diese Sprüche. Davon ging es
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