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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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schon lange wissen, dass die Polizei zu ihrem Schutz da ist, und die anderen sind gegen uns, weil wir sie am Unfugmachen hindern.»
    «Ist das auch Ihre Ansicht?», fragte Miriam den anderen.
    «Na, in der Stadt könnte es anders sein, madam . Aber hier in Barnard’s Crossing kennt jeder jeden, der bei der Polizei ist. Für mich sind diese Public Relations nichts wie Überstunden.»
    «Auf die Sie verzichten könnten, was?», fragte der Rabbi.
    «Ach, das macht mir nichts aus», sagte er schnell. «Wir machen das freiwillig. Es macht Spaß, die Leute kennen zu lernen, Kaffee mit ihnen zu trinken und zu reden. Außerdienstlich, wissen Sie.»
    «Vielleicht sollten sie das ruhig auch mal in der Stadt probieren», schlug Miriam vor.
    Der Polizist schüttelte den Kopf. «Da funktioniert so was nicht. Nehmen Sie mal die jungen Leute. Hier kennen wir sie alle. Ich hab bei ihnen geschiedsrichtert, als sie noch in der Jugendmannschaft waren, und Jee hat seit Jahren eine Baseballmannschaft trainiert. Sie nennen uns bei den Vornamen. Aber in der Stadt kennen sie die Polizei nicht, und die Polizei kennt sie nicht. Die, die hier so nett und freundlich zu uns sind, können in der Stadt zu einer Bande von Wahnsinnigen werden, wenn sie der Polizei gegenüberstehen.» Er drehte sich zu seinem Kollegen um. «Weißt du noch, wie sie sich damals aufgeführt haben, als wir Miss Hanbury zum College zurückfahren mussten?»
    «Ja, das war der Tag, an dem da die Bombe hochging. Ich kann Ihnen sagen, die waren vielleicht wild.»
    «Sie haben Miss Hanbury nach dem Bombenanschlag zurückgefahren?», fragte der Rabbi. «Warum denn das?»
    «Ach, die war gerade zu Hause angekommen», sagte Joe. «Sie hatte uns angerufen, als sie entdeckte, dass eins ihrer Fenster offen stand. Meistens lassen die Leute sie offen und vergessen es dann, und wenn sie nach Hause kommen, rufen sie die Polizei an, weil sie glauben, es könnte einer eingebrochen haben.» Er wandte sich an Miriam. «Lassen Sie sich aber ja nicht dadurch abhalten, uns anzurufen, wenn Sie glauben, dass was nicht stimmt, Mrs. Small. Uns macht das nichts aus. Wir sind nur froh, wenn sich herausstellt, dass Sie es selber gemacht und dann vergessen haben. Na, damals sind wir sofort zu Miss Hanburys Haus gefahren, und ich hab nach Fußabdrücken oder nach Schrammen von einem Stemmeisen auf dem Fensterbrett gesucht, hab aber nichts finden können.»
    «Und während er gesucht hat», fuhr sein Kollege fort, «kam übers Radio die Meldung von der Explosion im College. Sie wollten, dass Miss Hanbury sofort wieder nach Boston käme. Aber wo sie doch gerade erst hier angekommen war, haben wir ihr angeboten, sie hinzufahren. Und als wir dann beim College ankamen, war da diese Horde von jungen Leuten, die die Beamten beschimpfte, die das Haus bewachten. Sie haben sie angepöbelt und ausgelacht, obwohl die doch bloß ihre Pflicht taten. Wissen Sie, wenn so etwas hier passiert, kennen wir jeden Einzelnen beim Namen und könnten mal mit den Eltern reden.»
    Als sie gegangen waren, kümmerte sich Miriam ums Abendessen. Während sie arbeitete, sprach sie mit ihm – über die Kinder, über die Begegnungen am Morgen im Supermarkt. Sie hob die Stimme, damit er sie auch aus der Küche hören könnte, aber er reagierte nicht.
    Als sie dann schließlich ins Wohnzimmer kam, um ihn zum Essen zu rufen, sagte er: «Ich hab im Augenblick überhaupt keinen Hunger, Miriam.»
    «Ist was, David?»
    «Nein, ich bin nur nicht hungrig. Ich – ich muss noch was arbeiten.» Damit stand er auf und ging in sein Arbeitszimmer.
    Später, sehr viel später, war er immer noch dort. Er las nicht, er arbeitete nicht, er starrte nur blicklos ins Leere. Als sie ihn fragte, ob er nicht ins Bett gehen wolle, gab er ihr keine Antwort, sondern schüttelte nur irritiert den Kopf.

50
    Der morgendliche Verkehr war dichter als sonst, und der Rabbi fand erst ein paar Minuten nach neun Uhr einen Parkplatz. Bis er sein Büro erreicht hatte, war es schon zehn nach neun. Er war überzeugt, dass alle Studenten schon gegangen wären, rannte aber dennoch los, weil vielleicht ja doch ein paar gewartet hatten. Zu seiner Überraschung fand er im Hörsaal das normale Kontingent vor.
    «Auf der Brücke hat’s eine Panne gegeben», erklärte er quasi zu seiner Entschuldigung, «sie war auf der ganzen Strecke nur einspurig zu befahren.»
    «Ach, das macht nichts, Rabbi», sagte Harvey Shacter großmütig. «Wir haben abgestimmt, bis Viertel nach zu
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