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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages
Autoren: Lynn Austin
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nur einen einzigen Gegenstand einzupacken. „Ich bin ohne alles in diese Welt gekommen“, bekräftigte sie, „und ich gehe davon aus, dass ich genauso gehen werde.“
    Als sie alle fertig waren, war die Sonne untergegangen. Im Salon wurde es dunkel und kalt. Tante Olivia sorgte dafür, dass alle eine Steppdecke hatten, in die sie sich hüllen konnten. Brennstoffe waren rar geworden und jeder Zweig Feuerholz wurde zum Kochen benötigt. Das Lampenöl war ihnen schon vor langer Zeit ausgegangen, aber Tante Hattie holte eine Talgkerze hervor, die sie „für einen Augenblick wie diesen“ aufgehoben hatte, und schlug ihre Bibel auf, um ihnen allen vorzulesen: „‚Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht …‘“
    Josephine hörte nicht länger zu. Die anderen mochten in der Heiligen Schrift Trost finden – und Tante Hattie hatte mit Sicherheit genügend Glauben, um ganz alleine einen Berg zu versetzen –, aber Jo nicht. Sie war der Meinung, dass in der Bibel nichts als Märchen standen. Sie schloss die Augen und wünschte, Gott würde ihr Leben schnell beenden, wenn es das war, was er vorhatte. Während der Abend sich dahinzog, nickte sie ein.
    Ein lautes Hämmern an der Haustür weckte sie. Tante Olivia ging selbst hin, um aufzumachen, da sie alle ihre Sklaven für die Nacht in ihre Unterkünfte hinter dem Haus geschickt hatte. Wortlos stand Josephine auf und folgte ihrer Tante. Der Nachbar von nebenan stand auf dem Treppenabsatz und drehte nervös den Hut in seiner Hand.
    „Kommen Sie doch herein“, sagte Tante Olivia, als würde sie ein Diner veranstalten und er wäre ein paar Minuten zu spät erschienen. Er schüttelte den Kopf.
    „Ich habe die Kerze durch Ihr Fenster gesehen und wollte mich nur vergewissern, ob alles in Ordnung ist. Wie ich sehe, haben Sie beschlossen zu bleiben?“
    „Ja. Meine Schwester Eugenia und ich haben entschieden, dass wir mitten in der Nacht hier zu Hause besser aufgehoben sind als irgendwo auf der Straße. Außerdem wüssten wir nicht, wohin wir gehen sollten. Dies ist mein Zuhause. Ich werde hierbleiben und es so gut ich kann verteidigen und das Risiko eingehen, dass die Yankees kommen.“
    „Oh, sie werden ganz sicher kommen“, sagte er. „Aber sie sind nicht unser größtes Problem. Ich bin gerade in die Innenstadt von Richmond gegangen und …“ Er warf Josephine einen besorgten Blick zu, bevor er mit gesenkter Stimme fortfuhr: „Sie müssen im Haus bleiben und die Türen abschließen. Heute Nacht gibt es in Richmond weder Gesetz noch Ordnung und die Plünderungen sind aus dem Ruder gelaufen. Und das sind nicht die Yankees, sondern unsere eigenen Leute.“
    „Glauben Sie, die Welle der Gewalt wird sich bis hier herauf nach Church Hill ausbreiten?“
    „Niemand weiß, was geschehen wird, Mrs Greeley. Und das ist noch nicht alles …“ Wieder warf er einen Blick zu Josephine hinüber, der ihr verriet, dass er in ihrer Gegenwart nicht mehr sagen würde.
    „Sprechen Sie ruhig weiter“, sagte Josephine deshalb. „Sie werden mir keine Angst machen.“ Aber als er sprach, klang seine Stimme noch ein wenig leiser.
    „Die Wachen beim Staatsgefängnis haben ihre Posten verlassen. Alle Gefangenen sind ausgebrochen.“
    „Oh Gott, hilf uns“, hauchte Tante Olivia.
    „Ich werde heute alle unsere Sklaven im Haus schlafen lassen. Je mehr Leute, desto besser, wissen Sie.“
    „Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben. Ich glaube, ich mache es auch so.“ Tante Olivia schloss und verriegelte die Tür wieder, dann ging sie in den Sklavenhof hinaus, um alle ins Haus zu befehlen. Wenige Minuten später hörte Jo, wie die Sklaven in der Küche im Keller unter ihnen rumorten.
    „Du lässt doch die Sklaven nicht zu uns in den Salon, oder?“, fragte Tante Hattie, als Olivia mit den Neuigkeiten zurückkam.
    „Natürlich nicht. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen unten in der Küche bleiben und darauf achten, dass die Hintertür verriegelt ist.“
    Mutter griff in den Beutel, den sie gepackt hatte, und zog eine kleine, mit Leder bezogene Schachtel heraus, die Josephine früher schon einmal in der Schreibtischschublade ihres Vaters gesehen hatte. Tante Olivia sah entsetzt drein, als Mutter die Schachtel öffnete und eine Pistole herausholte.
    „Eugenia! Ist das Ding geladen?“
    „Ja, das ist es“, erwiderte Mutter, während sie die Waffe in aller Ruhe betrachtete.
    „Weißt du, wie man sie
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