Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
Bänke, zeigst hinter dich. Er hat eine Waffe, rufst du. Wir glotzen synchron zur Küche, und da steht so ein langer Kerl, Blut im Gesicht, eine Pistole in der Hand.«
    »In der linken.«
    »Kann sein. Jedenfalls steht er da, und alle wissen: Der meint es ernst.«
    »Oh Gott.« Ich schloss die Augen. Erst jetzt wurde mir klar, in welche Gefahr ich die Besucher meiner Lieblingskneipe gebracht hatte. Ich hörte, wie das Martinshorn draußen lauter und lauter wurde, bis der Notarztwagen vorm Englischen Jäger hielt. Zwei Sanitäter betraten die Gaststube.
    »Moin«, sagte der eine. »Ist das der Verletzte?«
    »Der tut nur so!«, rief ein Stammgast. »Aber wenn Sie schon mal da sind, schauen Sie nach seiner Narbe.«
    Der Securitymann winselte, als er auf den Rücken gedreht wurde. Ich weiß nicht, ob Verletzte immer so zackig behandelt werden oder ob die beiden Sanitäter ihren Patienten nicht mochten. Mit ihm tauschen wollte ich jedenfalls nicht. »Wie ging es weiter?«, fragte ich Usedom. »Mein Verfolger kam durch die Küche, sagtest du.«
    »Genau. Er steht da, die Knarre in der Hand, und ihm gegenüber, im Eingang, unser Freund vom Bau. Der sieht die Pistole und kennt nur eine Reaktion: Er zieht seine eigene.«
    »Nein!«
    »Na klar. Das heißt, er will sie ziehen, da hat der andere schon gefeuert.«
    »Und hat ihn getroffen.«
    »Er wird es überleben.«
    »Streifschuss«, sekundierte der eine der beiden Sanis. »Kein Grund zur Besorgnis.« Hinter ihm ging erneut die Tür. Es waren zwei Streifenbeamte, Augen wie Mühlräder. Sie kratzten sich im Nacken, rückten ihre Mützen zurecht, griffen zum Handy.
    »Noch einen Dornfelder, Maria!«, rief der Penner vergnügt. »Und für die zwei von der Staatssicherheit einen Korn.«
    »Da war ein zweiter Schuss«, sagte ich. »Wer hat den abgefeuert?«
    Usedom kniff die Augen zusammen und ließ den Rest Weinschorle in seinem Glas kreisen. »Ich«, antwortete er.
    »Du? Womit?«
    »Ich hätte nie gedacht, dass das gute Stück einmal Verwendung finden würde.« Er zog einen kleinen Revolver aus der Innentasche seines Sakkos und legte ihn vor sich. »Das ist er. Gekauft 1978. Unbenutzt bis auf den heutigen Tag. Von Trainingsschüssen abgesehen.«
    »Seit wann schleppst du einen Revolver mit dir rum? Und warum?«
    »Gute Frage«, sagte er nachdenklich. »Ein Relikt meiner Vergangenheit. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, ihn wegzuwerfen. Und nach dem Auftritt des Securitytypen letzten Donnerstag dachte ich mir, nimm ihn lieber mit, wenn du den Englischen Jäger besuchst.«
    »Nicht übers Herz gebracht«, äffte ich ihn nach. »Du bist vielleicht witzig! So ein Gerät muss gepflegt sein, gewartet und ausprobiert, sonst versagt es dir im entscheidenden Moment seine Dienste.«
    »Wenn du das sagst«, grinste er.
    »Und ob ich das sage«, knurrte ich. »Da predigt der Kerl Gewaltlosigkeit, und dann das! Die Überzeugungskraft des geschriebenen Wortes – dass ich nicht lache! Idiot.«
    Sein Grinsen wurde schwächer. »So ähnlich hat es Beatrice auch einmal formuliert. Du kannst mir glauben, ich war selbst am erstauntesten über meine Reaktionsschnelligkeit. Kaum hatte der Typ geschossen, schoss ich ebenfalls.«
    »Und? Getroffen?«
    »Am Griff der Küchentür ist Blut. Der Kerl wird über die Baustelle geflüchtet sein. Hätte ich ihn verfolgen sollen?«
    »Bloß nicht. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir: ›Exterrorist schießt Mann über den Haufen.‹ Erspar dir das. Außerdem ist der Kerl gefährlich. Trotz seines Namens.«
    »Wie heißt er denn?«
    »Er nennt sich Hermann von Kant. Habe ich mich eigentlich schon bedankt? Dann tu ichs jetzt. Danke, Robert.« Wieder klirrten Flasche und Glas gegeneinander.
    »War mir ein Vergnügen«, sagte er und wies zur Tür. »Als Gegenleistung könntest du ein gutes Wort für mich einlegen. Kein Waffenschein, verstehst du?«
    Der Raum füllte sich. Zu den Gästen, der Wirtin, dem Verletzten, den Sanitätern und den beiden Streifenbeamten trat Kommissar Fischer, seine zwei Wadenbeißer im Schlepptau. Als er mich sah, verfinsterte sich seine Miene. Einen Zigarillo zwischen den Lippen, näherte er sich. Widerwillig, wie es schien. Kommissar Greiner trat dem Narbenmann versehentlich auf die Finger und bekam einen Anschiss von den Sanis.
    »Nur angenommen«, raunzte mich Fischer an, »ich wollte vollständige und detailgenaue Aufklärung über die hiesigen Vorgänge, dann wende ich mich an Sie, richtig? Sie sind wie immer der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher