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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest
Autoren: Marcus Imbsweiler
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zu wünschen. Wollte ich nicht zu Kants Opfern summiert werden, musste ich weiterquasseln. Immer weiter: weil es den Mörder ablenkte und weil ich lebte, solange ich quasselte. »Verstehe«, sagte ich laut. »Als Sie merken, dass Klemm zu früh in die Menge schießt, brüllen Sie in Ihr Funkgerät, um ihn zu stoppen. Er erschrickt, fasst sich an den Helm und haut ab.«
    »Ganz ruhig!«, zischte er. »Keine überflüssige Bewegung.«
    Jemand ging auf unserer Straßenseite an Gertrud vorbei. Kant hielt mir die Pistole in den Nacken. Ich fragte mich, wann Fischers Streifenwagen endlich eintreffen mochte.
    »Hinterher«, fuhr er fort, »lief wieder alles nach Plan. Klemm wurde in Sicherheit gebracht, und da er seinen Kollegen vermutlich nichts von seinem Versagen erzählte, hielten die den Anschlag für geglückt. Ich sagte auch nichts, sondern verschwand wie vereinbart am selben Abend aus der Stadt. Zum Schein. Klemm muss geahnt haben, dass ich mit ihm abrechnen wollte. Jedenfalls ließ er sich nicht mehr blicken, eine ganze Woche lang nicht. Bis heute Morgen.«
    Schade, dass Klemm nicht Saueressig hieß. Da hätte Kants Sprachfehler noch hübscher geklungen. Immer öfter rutschte ihm die Zunge zwischen den Vorderzähnen durch. Ein lispelnder Killer, was es nicht alles gab. Die Straße im Auge behalten, einen Fluchtplan entwerfen und gleichzeitig sprechen – zu viel für einen gewöhnlichen Kriminellen, der so gern Richter und Gott spielte.
    »Und dann funkten Sie mir dazwischen«, sagte er. »Pech für Sie. Ohne Ihre Einmischung wäre alles glattgegangen. Klemms Tod hätte wie ein Selbstmord ausgesehen oder wie eine Abrechnung unter Neonazis. Mir ist nichts nachzuweisen. Meinen Schulfreund habe ich in der Hand, und sonst kennt keiner meinen Namen. Außerdem: erst mal kriegen, sobald ich im Ausland bin.«
    »Die Sache hat nur zwei Schönheitsfehler. Erstens: Ihre Zielperson lebt.«
    »Noch. Dank meiner Vorsichtsmaßnahmen kann der Anschlag wiederholt werden.«
    »Zweitens: Die Polizei muss jeden Moment eintreffen. Geben Sie auf, Sie Pseudophilosoph.«
    Er lachte. »Sie sind ein Witzbold. Allerdings kein guter. Und vor allem einer ohne Zukunft.«
    »Halten Sie Ihr Faschingskostüm von vorhin vielleicht für witziger?«
    »Kleine Sicherheitsvorkehrung, was glauben Sie? Falls mir im Haus jemand begegnen sollte. Kein Mord ohne Bart, das ist mein Motto.«
    »Und der Schlüssel? Hat Klemm Ihnen den gegeben?«
    »Natürlich nicht, Sie Schlaumeier. Er wusste nichts davon. Hätte er sonst seine Wohnung betreten? Ich habe ihn mir schon vor Wochen nachmachen lassen, heimlich.«
    »Weil Sie von vornherein planten, ihn umzulegen, stimmts?«
    »Ruhe!«, schnarrte er plötzlich. Ich schwieg und horchte. Nichts.
    »Stimmts?«, wiederholte ich.
    »Ruhe!«
    Und dann hörte ich es auch: den Verkehr der Brückenstraße in unserem Rücken, ferne Kirchenglocken, eine meckernde Autohupe … und, sehr weit weg, aber sich langsam nähernd, ein Martinshorn.
    Eine herrliche Hintergrundmelodie, fand ich.
    Kant biss sich auf die Lippen. Das Heulen wurde lauter. Dabei konnte es sich kaum um den angeforderten Streifenwagen handeln. Warum sollte er sich mit Blaulicht und Martinshorn nähern? Später, viel später las ich in der Montagsausgabe der Neckar-Nachrichten, dass es in der Uferstraße einen Unfall gegeben hatte, und das verletzte Mädchen wunderte sich, als es von mir einen Blumenstrauß und ein Kilo Schokolade geschickt bekam. Und das, obwohl ihr Bein längst geheilt war.
    An jenem Sonntagmorgen wusste ich nichts von dem angefahrenen Mädchen und der Mörder erst recht nicht. Unser beider Atem ging schneller.
    »Raus!«, schnauzte er mich an. »Machen Sie in aller Ruhe die Tür auf, Koller, und steigen Sie aus. Keine Faxen, verstanden?«
    »Das bringt doch nichts. Es ist aus, sehen Sie das nicht?«
    »Von wegen. Raus!« Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
    Ich öffnete die Tür und schälte mich langsam aus dem Wagen. Bei ihm dauerte das Ganze nicht halb so lange. Kaum war er auf meiner Seite angelangt, hatte ich die Pistole im Rücken. Er warf die Fahrertür zu und dirigierte mich zum Hotel. »Da rüber!«, sagte er heiser.
    Die Kußmaulstraße war menschenleer. Ich hätte kotzen mögen, aber sie war menschenleer. Gemeinsam betraten wir die Hofeinfahrt, er immer einen halben Schritt hinter mir. Ein letzter Blick aus den Augenwinkeln: Die Straße lag verlassen da. Im Innenhof des Hotels parkten drei Autos. Eine Katze streunte
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