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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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ganz unbestimmt, kaum vor Abend. Und als er verdrossen und verärgert – warum eigentlich? er wollte sich doch gar nicht mehr damit befassen! – in seine Wohnung zurückkam, war dort zwar kein Patient gewesen, aber der Amtsgerichtsrat Schulz. Und hatte einen Brief für seinen Freund Kimmknirsch hinterlassen.
    »Lieber Doktor« usw. »Tun Sie mir den Gefallen, vom Zwei-Uhr-Zug den Professor Kittguß abzuholen. Er hat viel Geld bei sich. Passen Sie auf das Unglückshuhn auf underwarten Sie mich gegen sieben mit ihm im ›Erbherzog‹. Sie nehmen ja auch Interesse am Fall R. Th. Sonst möchte ich Ihnen so etwas gar nicht ansinnen. Ihr …« usw.
    Ja, und so stand denn Doktor Georg Kimmknirsch fünf Minuten vor zwei auf dem Bahnsteig und erwartete den Herrn Professor Kittguß, den er gar nicht kannte.
    Und der Zug lief ganz ortsüblich mit zwanzig Minuten Verspätung ein, und ihm entstiegen vier Frauen und der alte Fellhändler Lau mit seinem Packen, aber sonst keiner.
    Nichts ging in dieser Sache Thürke, wie es sollte. Bis zum nächsten Zug um sieben Uhr abends konnte sich nun Doktor Kimmknirsch um »das Unglückshuhn, das viel Geld bei sich hatte«, ängsten und den Amtsgerichtsrat verfluchen, der ihm auch noch diesen Stachel ins Fleisch gestoßen hatte.
    Wenig konnte dabei ein Krankenbesuch bei dem Patienten Philipp Münzer trösten, dem es nun wirklich schon wieder recht gut ging und der da aus Bett und Krankenstube eine Holzschnitzerwerkstatt gemacht hatte und unermüdlich Holzlöffel für Stillfritzens und Kimmknirschs schnitzte. Glücklich war er, strahlend war er, der Junge – doch, doch, dies munterte den Doktor ein wenig auf –, und nur seine Freundin und Herrin Rosemarie hätte er gern wieder einmal gesehen, wenigstens für eine Minute, ja, Herr Doktor?
    »Morgen, Philipp, morgen bestimmt«, log der Doktor gegen all seine Grundsätze und entzog sich hastig den besorgten, ängstlichen, rührenden Fragen nach dem Ergehen der Rosemarie, Fragen, auf die er selbst nicht die tröstlichste Antwort wußte.
    Es stürmte und regnete, der Wind klirrte mit den Dachrinnen und heulte im Ofen der Stillfritzschen Gaststube. Nun hatte der Doktor bis zum Sieben-Uhr-Zug und der Rückkehr des Amtsgerichtsrats eigentlich nichts mehr,die Zeit zu verbringen, als den witzig-versoffenen Wirt Stillfritz – und was der für ein herzabdrückender Spuk aus dem Lebenspanoptikum sein konnte, das erfuhr Doktor Kimmknirsch so recht an diesem trostlosen Herbsttage.
    »Hören Sie auf, Stillfritz«, sagte der Doktor schließlich schroff in die Jeremiaden des alkoholisierten Philosophen hinein, »mir ist schon schlecht genug. Machen Sie mir noch einen Grog.«
    »Sehen Sie«, sprach der tüchtige Gastwirt Stillfritz triumphierend, »ich sage es ja. Mit dem Saufen fängt es an, bei jedem!«

22. KAPITEL
    Worin Professor Kittguß die Frau Müller ängstet. Der Horizont wird rot
    Ganz unwirklich schien es dem Professor Kittguß, in seinem stillen Arbeitszimmer, Akazienstraße 19, zu stehen, als sei er zurückgekehrt in urferne, längst versunkene Zeiten. Und unwirklich klang ihm auch die Begrüßung der Müllern in den Ohren: »Gottlob, daß Sie wieder da sind, Herr Professor. Ich dachte schon, Sie kämen überhaupt nicht mehr wieder. Aber wie Ihr Kragen aussieht! Und die Halsbinde! Und der Anzug ganz fleckig! Und magerer sind Sie auch geworden. Wo ist denn eigentlich Ihre Tasche? Es ist ja auch gestern früh einer von der Polizei dagewesen und hat sich nach Ihnen erkundigt. Ich bekam solchen Schreck! Soll ich nun Essen machen oder erst das Bad einlassen? Jetzt geht es doch mit der Arbeit wieder schön weiter!?«
    Ungewohnter Wortstrom im gewohnten Zimmer. Ach, war das Zimmer wirklich so gewohnt? Der Professor sah die Bücher, die Papiere auf Schreibtisch und Regalen, erroch die vertraute Luft, tat einen tiefen Atemzug –: »Könnten wir vielleicht das Fenster ein wenig öffnen, Frau Müller?«
    »Das Fenster?« fragte sie und sah ihn an, als sei er gar nicht der richtige Professor Kittguß. »Aber, Herr Professor, wir haben doch immer nur drüben im Schlafzimmer gelüftet. Es stürmt draußen, die Papiere könnten durcheinander wehen.«
    »Wir wollen doch ein Fenster öffnen«, sagte der Professor milde, aber fest. »Die Papiere werden sowieso zusammengepackt werden müssen.«
    »Zusammengepackt …« Böser Ahnungen voll öffnete die Müllern das Fenster. Ein Windstoß fuhr hinein, bauschte die Gardinen, die Papiere bewegten sich raschelnd,
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