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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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entspannt, als ginge es ihm um die Seriosität der Inhalte.
    Am Tisch im Rücken meines Vaters lasen zwei Frauen Zeitung, sie ließen sich ebenfalls nicht stören. Für mich wares beunruhigend, dass jemand um Hilfe flehte und Ferde seine Zwischenrufe anbrachte. Aber da das Pflegepersonal und die anderen Bewohner es nahmen, als komme der Kuckuck aus der Uhr, versuchte ich es ebenso zu halten.
    Ein wenig empörend fand ich, dass eine der zeitunglesenden Frauen an anderen Tagen, wenn mein Vater ein Liedchen sang, nicht ungern rief:
    »Hallo? Hallo? Der soll still sein!«
    Jetzt sagte mein Vater zu Ferde:
    »Die Zeiten ändern sich, aber nicht mehr lange.«
    Er sagte es entschieden, in einem Tonfall zwischen Bedauern und Fatalismus.
    Ferde: »Ich könnte über alle Berge gehen. Ich würde gerne wieder einmal auf die Alpe. Und dann hinunter die Rickatschwende.«
    Vater: »Da geh ich nicht mit.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nichts bin.«
    »So viel bist du immer noch.«
    Der Vater grinste: »Ich glaube nicht.«
    Ferde: »Du musst nur wollen.«
    Vater: »Groß ist das Wollen bei mir nicht. Aber die Hoffnung ist vorhanden. – Ich war einer, der war in seinem Leben viel auf den Füßen.«
    Ferde sagte etwas, das mir entging. Dem Vater war anzusehen, dass er Zweifel hatte, er erwiderte:
    »Gut, ich habe das zur Kenntnis genommen. – – Was tun wir jetzt? Rosenkranz beten?«
    Ferde: »Nein!«
    Vater: »Das würde zu lange dauern.«
    »Und nichts bringen. Kannst du überhaupt Rosenkranz beten?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Also, wie geht das? Mach vor!«
    Der Vater wiegte den Kopf und wechselte das Thema.
    Als es dann wieder darum ging, dass mit dem Vater nicht mehr viel los sei und es nicht mehr lange so weitergehen werde, sagte Ferde:
    »Ja, dann legen sie dich in die Kiste, und ab in die ewigen Jagdgründe.«
    Vater: »Ich würde lieber noch ein wenig – schnattern . Weißt du, ich kann keine Wege mehr bahnen. Aber ich kann hierhin und dorthin, da kannst du manches sehen und aufschnappen.«
    Ferde sagte wieder, er sei oben bei Petrus gewesen und habe sich dort umgeschaut, es würde ihm dort oben gefallen, aber Petrus habe gesagt, er, Ferde, stehe nicht auf der Liste.
    Ferde sagte: »Dort oben haben sie lauter neue Wohnungen. Dorthin musst du gehen.«
    Der Vater sagte nochmals: »Das ist nicht das, was mir vorschwebt, ich würde lieber ein wenig gehen und mich umschauen.«
    Ferde: »Du hast dein Leben auch abgedient.«
    »Und du? Willst du noch ein Weilchen so weitermachen?«
    Ferde lächelnd: »Ein paar Jährchen würden mir schon gefallen.«
    »Ja, man sieht dir an, du bist eigentlich noch ganz kräftig.«
    Der Vater machte den obersten Hemdknopf seines blauen, leicht gemusterten Flanellhemdes auf. Als der Knopf offen war, legte er den Kragen so, dass er möglichst weit offen stand. Lächelnd sagte er:
    »Ich muss da ein wenig Luft heranlassen.«
    Am selben Tisch saß ein schmaler Mann im Rollstuhl, die meiste Zeit bewegte er langsam die Füße, als mache er Schritte, währenddessen blieben Gesicht und Oberkörper still. Mein Vater sagte zwischendurch zu ihm, ein wenig erstaunt:
    »Das, was du tust, ist nicht sehr ergiebig.«
    Ferde: »Der rennt den ganzen Tag, aber im Geiste, er rennt an einem Tag um ganz Österreich herum.«
    Vater: »Bei mir die unteren Teile«, er griff sich an die Oberschenkel, »die sind schlapprig. Die unteren Teile sind für mich maßgebend.«
    Ferde: »Deine unteren Teile sind noch intakt.«
    Vater: »Ich denke schon.«
    Ferde: »Wie alt bist du jetzt, August?«
    Vater: »Sollte ich das wissen?«
    Ferde: »Eigentlich schon.«
    Ich half dem Vater und sagte, er werde demnächst dreiundachtzig. Er bedankte sich sehr herzlich:
    »Du, danke, das ist nett von dir. Das rechne ich dir hoch an.«
    Ferde: »Wir sind halt auch nicht mehr zwanzig.«
    Vater: »Meine Mutter ist auch noch gut. Aber sonst –«
    Die Frau, die auf der Couch lag, rief:
    »Heilige Schwester! Heilige Schwester! Heilige Schwester! Kommen Sie und helfen Sie mir!«
    Ferde: »Die Schwestern sind heute nicht mehr heilig!«
    Andere Frau: »Ich bin so müde! Ich bin so müde!«
    Ferde: »Dann geh schlafen! Geh in dein Zimmer und schlafe!«
    Frau auf der Couch: »Ich habe doch nichts getan! Heiliger Gott, hilf mir! Heiliger Gott!«
    Ferde: »Gib uns die Gnade!«
    Vater überrascht und erfreut: »Wirklich?«
    Frau: »Warum? Warum?«
    Ferde: »Warum nicht!«
    Vater: »Du würdest auch noch ein Vaterunser beten, wenn sie dich arbeiten ließen.
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