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Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
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Du schaust aus, als ob du noch ziemlich kräftig wärst und als ob du noch wollen würdest.«
    Ferde: »Ja, wollen würde ich schon.«
    Vater anerkennend: »Du bist noch sehr kräftig und solide.«
    Ferde lachte: »Ich bin solid geworden!«
    Er berichtete, dass er am Vormittag mit der Rettung nach Feldkirch ins Krankenhaus gefahren worden sei. Es habe ihn gejuckt, zum Fahrer, einem jungen Hupfer, zu sagen:
    »Weg mit dir, lass mich ans Steuer!«
    Die beiden redeten übers Ausreißen. Dann fing Ferde wieder davon an, dass er oben bei Petrus gewesen sei, aber noch nicht auf dessen Liste.
    »Gefallen hätte es mir dort schon.«
    Vater: »Ja, die Situation dort oben ist bestimmt ganz gut. Ich bleibe trotzdem lieber in Wolfurt.«
    Als das Essen aufgetragen wurde und ich mich verabschiedete, sagte der Vater:
    »Ja, geh du nach Hause. Ich kann dir nur den einen Rat geben: Daheim bleiben und nicht fortgehen!«
     
    Als ich das erste Mal auf die Pflegestation gekommen war, hatte ich einen Augenblick lang Mitleid für alle Menschen empfunden, die gelebt hatten, lebten und noch leben werden. Mit der Zeit jedoch gewöhnte ich mich an die eigenwillige Situation, und schließlich fand ich diese Lebensweise auch nicht seltsamer als andere Lebensweisen. Aufgrund der ständigen Wiederholungen herrschte im Großen und Ganzen eine ruhige und gleichmäßige Geschäftigkeit. Auch das gutturale Brummen und kehlige Rufen eines der Mitbewohner, das mich anfänglich irritiert hatte, klang, nachdem ich das herzliche Wesen des Rufers kennengelernt hatte, vertraut und angenehm.
    Meine Geschwister hielten die Atmosphäre im Aufenthaltsraum der Pflegestation nicht gut aus, sie nahmen den Vater so oft wie möglich mit nach draußen. Wenn ich von meiner Schwester wissen wollte, was es von ihren vielen Besuchen zu berichten gebe, winkte sie ab, meine Strategie sei es, davon zu erzählen, ihre Strategie sei es, das, was sie dort erlebe, sofort zu verdrängen. Sie sei froh, wenn sie, fünf Minuten nachdem sie zur Tür raus sei, alles vergessen habe, je eher, desto besser, sie finde es nicht interessant, sondern zum Weinen. Wenn sie das, was ich schreibe, lese,gehe es ganz gut, dann könne sie darüber schmunzeln. Doch die Situation selber sei ein Horror.
    Und wenn mein jüngerer Bruder sagte, er gehe besser gar nicht erst hin, weil er es nicht könne, dann kann er es eben nicht. Damit steht er nicht allein. Wir holten den Vater regelmäßig ins Oberfeld.
    So verschieden sind die Menschen, oder, wie der Vater es ausdrücken würde: Der liebe Herrgott hat halt die unterschiedlichsten Kostgänger . Auf mich wirkte das Milieu des Pflegeheims sympathisch und bereichernd, das Personal nett und unaufgeregt, Frauen aus dem Ort, alle per du. Die meisten Bewohner strotzten vor Leben, auf eine sehr elementare Art. Und wenn die Welt draußen sie auch nicht mehr recht zu ihresgleichen zählte, war ich doch der Meinung, dass sie gut zu mir passten.
     
    Ausgerechnet bei meinem letzten Besuch Ende des Sommers war der Vater nicht gut drauf. Bereits vor dem Haus empfing mich eine Pflegerin, die von den Philippinen stammte, mit den Worten:
    »Ach, zum Glück, Arno kommt. August will schon seit Stunden nach Hause.«
    Ich ging zu ihm hinein und nahm ihn hinaus in den Garten. Er sagte, er sei sehr traurig über seine Situation, ihm gelinge nichts. Er komme in seinem Bemühen, nach Hause zu gelangen, keinen Schritt vorwärts. Er ließ den Kopf hängen und klagte gottserbärmlich, vielleicht hatte es damit zu tun, dass er am Wochenende zweimal im Oberfeld und am Tag davor mit seinen Geschwistern inseinem Elternhaus gewesen war. Tante Marianne, die Frau von Robert, hatte mir erzählt, es sei wunderschön gewesen, alle hätten sich gefreut, ihn zu sehen, und sie hätten sich auch nicht um Gesprächsstoff verkopfen müssen. Paul müsse man zum Erzählen ja nicht extra auffordern. August habe Paul die ganze Zeit fasziniert und aufmerksam zugehört.
    Jetzt, bei meinem Besuch am Abend, hielt mich mein Vater für diesen Paul, er fragte mich wiederholt, wie es weitergehe, ob ich ihm helfen könne, nach Hause zu gelangen, er war ganz apathisch vor Kummer und sagte immer wieder, wie traurig er sei. Ich bemühte mich, ihn zu beruhigen, wir hätten es nicht eilig, ein Weilchen würden wir noch sitzen, dann brächen wir auf. Er fragte erstaunt und mit einer gewissen Scheu, ob wir dann tatsächlich nach Hause gehen würden. Ich bestätigte, ja, wir würden noch auf Helga warten, dann
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