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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie
Autoren: Elias Khoury
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aufsteigen. Sie stellte das Glas auf den Tisch und bat um eine Tasse heißen Tee. Mansûr schien sie nicht gehört zu haben. Denn er schob sich ein Stück Käse in den Mund und hielt ihr eines hin. Sie habe keinen Hunger, sagte sie und schob seine Hand von sich. Er aß den Happen selbst, trank sein Glas in einem Zug aus, schenkte sich Champagner nach. Seltsame Schatten zeigten sich in seinen Augen. Milia lächelte, denn sie musste an die Worte ihrer Mutter denken. Männer würden in der Hochzeitsnacht, so hatte sie gesagt, von einem gewissen Schwachsinn befallen.
    Mansûr nahm sie bei der Hand, führte sie ans Bett. Die Kehle war ihr wie ausgetrocknet. Das war der große Moment. Sie musste jetzt tapfer sein.
    Sie setzten sich auf die Bettkante. Mansûr kam mit den Lippen an ihren Hals, küsste ihn. Ein leichter Schauer durchrieselte Milias Körper. Sie wollte sich hinlegen, ließ sich ein wenig zurücksinken, sah sich. Sie sah sich schwebend, von ihm getragen. Jetzt würde er sie auf seine Arme heben und mit ihr durch die Luft fliegen, sie dann wieder auf das Bett legen und nehmen.
    Milia lehnte sich zurück, wartete. Er ließ von ihrem Hals ab und fing an zu zittern. Sie wollte ihn an sich drücken, wollte ihm die Sache erleichtern. Er aber sprang unvermittelt auf und begann sich auszuziehen. Mit allem hatte Milia gerechnet. Nur nicht damit, dass sich der Bräutigam mitten im Zimmer hinstellt und die Kleider fallen lässt. Das Gesicht dabei wie zu einer Maske erstarrt. Schultern und Brust von einem dichten schwarzen Haarteppich bewuchert.
    Gleich stürzt er sich auf mich, gleich entjungfert er mich, dachte Milia. Ein seltsames Gefühl erfasste sie. Ihr war, als stünde sie auf einem hohen Balkon, in dem Wissen, dass sie jeden Moment in die Tiefe gestoßen würde. Schicksalsergeben auf den Stoß wartend, schloss sie die Augen und malte sich den Fall ins Nichts aus. Stellte sich die Hände vor, die sie auf das Bett stoßen, ihr das Kleid vom Leib reißen, die Unterwäsche zerfetzen würden.
    Milia wartete lange. Müdigkeit beschlich sie. Gestützt auf den rechten Ellenbogen, fiel sie in einen leichten, immer wieder unterbrochenen Schlaf. Der Nebel von unterwegs quoll aus ihren Augen. Sie schrak hoch, riss die Augen auf. Sie sah Mansûr, der kurz zuvor noch nackt im Zimmer gestanden hatte, nicht mehr. Er war verschwunden. Seine Kleidung aber war noch da. Sie lag zerknittert auf dem Boden. Bei dem Anblick musste Milia an das seltsame Schauspiel denken. Mansûr im Kampf mit seinen Sachen. Die Schuhe feststeckend im Hosenbein. Das Hemd um den Hals geschlungen. Die Strümpfe an den Füßen klebend. Der buschige schwarze Schnurrbart zitternd. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Das Lächeln des Wartens. Milia hörte ein Wimmern. Bemerkte, dass das Wimmern aus dem Bad kam. Das Wimmern wurde lauter, mischte sich mit anderen Geräuschen. Mit Röcheln und Würgen. Statt ins Bad zu gehen und nach ihrem Mann zu sehen, ließ sich Milia wieder auf das Bett sinken und deckte sich zu, ohne das Kleid auszuziehen.
    »Was für Flitterwochen!«, sagte sie so laut, dass Mansûr sie hätte hören müssen.
    Sie bekam keine Antwort. Angst stieg in ihr auf. Sie sah sein Bild vor Augen. Er, auf dem Gipfel des Dahr al-Baidar. Nebel verschluckt ihn. Bibbernd rennt er zum Auto, gibt seltsame Laute von sich, eine Mischung aus Bellen und Wimmern. Er reißt die Wagentür auf, steigt ein. Zitternd und seufzend sitzt er auf dem Beifahrersitz. Milia stand auf, trat an den Ofen. Das Feuer war fast erloschen. Sie legte ein paar Scheite Holz nach und wartete, bis sie brannten. Dann ging sie zum Bad, rief ihren Mann durch die geschlossene Tür, bekam keine Antwort. Sie klopfte an, pochte. Ein leises Wimmern wie aus weiter Ferne drang zu ihr. Ihr war warm, heiß. Sie hatte den dringenden Wunsch, das Kleid auszuziehen, ging an den Koffer, holte ihr langes blaues Nachthemd heraus, zog es über. Sie hörte Mansûr rufen, eilte zum Bad.
    »Mach auf, Mansûr! Ich bin es, Milia!«
    Seine Stimme wurde schwächer, flüsterte nur noch.
    Hatte er »Milia« oder »Mutter« gerufen?
    »Mach auf, bitte!«
    »Nicht so laut. Der Fahrer hört dich noch!«, krächzte er heiser.
    »Soll ich einen Arzt holen?«
    »Beruhige dich! Bitte! Beruhige dich!«
    Dann verstummte er. Alles, was er noch von sich gab, war ein eigenartiges Keuchen. Milia dachte, er würde sterben. Sie brach zusammen. Auf Knien am Boden, sich an die Klinke klammernd, als würde sie sich daran
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