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Als Mutter streikte

Als Mutter streikte

Titel: Als Mutter streikte
Autoren: Eric Malpass
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Tee. Unterdessen ließ Trubshaw mit Heidenlärm zwischen unseren Beinen ein Spielzeugauto herumrasen. Wir deckten den Tisch im Eßzimmer und setzten uns. Ich goß den Tee ein, und schließlich hatte jeder eine dampfende Tasse, ein schönes braunes Ei und eine Scheibe Brot vor sich. Unsere erste Mahlzeit ohne Mutter. Vater nahm das Messer und köpfte sein Ei mit einem energischen Schlag. Zack. Eine Geste des Triumphs.
    An der Haustür klingelte es. Vater sah aus wie ein Küchenchef, der das Soufflé aus dem Ofen nimmt und dabei draußen die ersten Schüsse der Revolution hört. Perse, die sich gerade ihr Brot dick mit Butter bestrich, erstarrte und sah mich voll wilder Hoffnung an. Ich schüttelte den Kopf. Nein, Unentschlossenheit gehörte nicht zu Mutters Schwächen, wie Vater schon gesagt hatte. Trubshaw kaute ungerührt weiter.
    «Ich gehe schon», sagte ich.
    Für einen Augenblick stand mir das Herz still, wenn auch die Ärzte einem erklären, das gäbe es nicht. Ich ging durch unsere mit blauen und roten Fliesen ausgelegte, verlassen wirkende Diele, und durch das farbige Glas der Haustür sah ich den Mond am Himmel schimmern. Das konnte nur Clifton Chisholm sein.
    Mit zitternden Händen öffnete ich die Tür. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Ich brachte kein Wort hervor. Ich konnte nur starren.
    Wenn man sich den Erzengel Gabriel ohne Flügel vorstellt, dann hat man ein ungefähres Bild von Mr. Chisholm. Hinter dem Bankschalter wirkte er natürlich ganz anders, aber wenn er sonntags in der Kirche neben dem Pfarrer am Altar stand, hätte er tatsächlich zu den Himmlischen Heerscharen gehören können. Eigentlich war es eine Schande, daß er seinen Lebensunterhalt als Bankkassierer verdienen mußte und seine wunderbar schlanken, weißen Finger tagtäglich mit schnödem, schmutzigem Mammon in Berührung kamen. Der Pfarrer konnte froh sein, einen so unermüdlichen Helfer und Mitarbeiter gefunden zu haben. Mir schien freilich manchmal, als ob er das gar nicht richtig zu schätzen wußte.
    Als Mr. Chisholm jetzt lächelte und mich mit einem freundlichen «Hallo, Viola» begrüßte, wurde mir ganz schwindlig.
    «Hallo», brachte ich krächzend heraus.
    Er kam herein und gab mir seinen Hut, wobei sich unsere Hände - nicht ganz zufällig, was mich betraf - sacht berührten. Ich legte den Hut andächtig auf den Tisch in der Diele und führte Mr. Chisholm ins Eßizmmer.
    Vater erhob sich. Perse blickte gelangweilt auf. Trubshaw schlürfte schweigend seinen Tee. «Ach, das tut mir leid - ich störe Sie gerade beim Tee», sagte Mr. Chisholm. «Aber ich werde Sie nicht lange aufhalten. Der Pfarrer hat mich gebeten, bei Ihnen vorzusprechen.»
    Trubshaw sah sich plötzlich um - anscheinend zählte er die Anwesenden - und fragte leicht erstaunt: «Wo ist Mutter?»
    «Ausgegangen», sagte ich hastig. Dies war, weiß Gott, nicht der Zeitpunkt für ausführliche Erklärungen.
    «Oh, wie schade. Und gerade ihretwegen bin ich gekommen», sagte Mr. Chisholm.
    «Wo ist sie denn hin?» fragte Trubshaw und schlug mit den Absätzen gegen die Stuhlbeine.
    «Nach Marrakesch», sagte Vater.
    Mr. Chisholm blickte überrascht zu ihm hinüber. Man sah ihm an, daß seine Gehirnzellen fieberhaft arbeiteten. Endlich fragte er: «Dann ist sie wohl zum Sommerfest gar nicht hier, Mr. Kemble?»
    «Nein - und auch nicht zum Erntedankfest - und auch nicht zur Christmette, Mr. Chisholm.»
    «Ah so», sagte Mr. Chisholm. Er war offensichtlich der Ansicht, hier handle es sich um einen Fall für den Pfarrer. «Ich kann mir unser Sackhüpfen ohne sie gar nicht vorstellen», sagte er bedauernd. «Sie wird uns sehr fehlen.»
    «Amen», sagte Vater, den Blick zur Decke hebend.
    «Wo ist denn das, wo sie hin ist?» fragte Trubshaw.
    «Marrakesch? Das ist in Marokko», sagte Perse.
    «Wo ist denn Marokko?»
    «In Nordafrika.»
    «Und wo ist Nordafrika?»
    «Ganz oben in Afrika.»
    «Wo ist Afrika?»
    Das konnte den ganzen Tag so weitergehen, ich kannte meinen kleinen Bruder. Und bei diesem Hin und Her steuerte mein Schwarm, mein Angebeteter bereits hilflos auf die Tür zu. Im nächsten Augenblick würde er fort sein. «Wollen Sie nicht eine Tasse Tee mit uns trinken, Mr. Chisholm?» fragte ich, der Verzweiflung nahe.
    «Nein, danke schön, Viola», sagte er mit verstörtem Lächeln, aber immerhin, er lächelte. Wieder wurde mir fast schwindlig. Ich folgte ihm in die Diele, reichte ihm stumm seinen Hut und öffnete die Tür. Und hier wandte er sich zu meinem
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